Oberhausen. Vor der Marienkirche in Oberhausen treffen dicht gestaffelt Kultur, Handel und Stadtgeschichte aufeinander. Der Dom aus Florenz diente beim Bau des Gotteshauses als Vorbild. Am Rande des Zentrums fühlen sich die Marianer aber wie im Dorf.
Die Freude ist im Marienviertel allgegenwärtig. Wenn Fußball-Spiele zu Weltmeisterschaften enden, trifft oft der Schall schrill hupender Fahrzeuge vom Autokorso auf die Kirchenmauern. An der Mülheimer Straße trifft das pralle Leben auf ein Kleinod. Pfarrer Thomas Eisenmenger blickt in den Garten an der Elsa-Brändström-Straße.
Das Grün steht stellvertretend für die verblüffend ruhig gelegenen Hinterhöfe, die im Viertel zu finden sind. Der wuselige Lärm der Hauptstraße ist zwischen sich leicht im Wind senkenden Platanen vergessen. Hier steht auch das Gemeindehaus von St. Marien. Wenn Pfarrer Eisenmenger durch die Straßen geht, fühlt man sich so nah am Stadtkern wie in einem Dorf.
Wuselige Mäusegruppe
Ein „Hallo“ von der anderen Straßenseite. Ein herzlicher Gruß an der Kindertagesstätte. „Viele Orte sind eng miteinander verbunden“, sagt der Pfarrer. Normalerweise tummeln sich rund 50 Kinder in dem Gebäude direkt neben dem Gemeindehaus und schräg gegenüber des Haupteingangs der Kirche.
Doch die „Mäusegruppe“ hat schon Feierabend. Walburga Tintrop ist Leiterin der Einrichtung und seit 31 Jahren dabei. In den Gängen hängen Bilder von der Raupe Nimmersatt. Momentan wird hier gearbeitet: am Umbau einiger Räumlichkeiten und an der Umstellung auf die U3-Betreuung. Ein Ort, um die Kirche, an dem ständig Bewegung herrscht.
Viertel im Umbruch
Einige Straßenzüge weiter, vorbei an Häusern mit verschnörkelten Fassaden, sucht ein Pärchen einen Parkplatz. Diese gibt es hier nicht an jeder Ecke. Die beiden wollen sich im Ebertbad Karten für einen Kabarett-Abend sichern. Kultur und Theater. Im Viertel gehört das dazu.
Erste Kirche stand noch in der Lipperheide
Zunächst stand die Kirche nicht an ihrem heutigen Ort, sondern in der Lipperheide. 1857 entsteht das Gotteshaus in der Nähe der Feuerwache, 1888
wird es zur ersten hiesigen
Gemeindekirche. Die Heidekirche wird zur Pfarrgemeinde.
Die Industrialisierung schreitet voran. Die alte Kirche wird zu klein, eine neue entsteht. Dombaumeister Friedrich Freiherr von Schmidt aus Köln entwirft das Gotteshaus und verwendet in seinen Plänen eine dreischiffige Basilika.
Während des 2. Weltkrieges wird die Kirche stark beschädigt. „Haus Union“ wird zwischenzeitlich zur Notkirche. Heute ist die Kirche von St. Marien für seine ganzjährige Krippe bekannt.
Es ist ein Viertel im Umbruch, Thomas Eisenmenger, sieht dies täglich. Am John-Lennon-Platz waren lange die Fußballer des DJK Adler Oberhausen heimisch, die neue Heimat liegt am Sportplatz gegenüber des Bero-Zentrums. Und damit außerhalb des Viertels. Die Losung ist simpel: Kein Sportplatz, kein Fußball-Verein. So ändert sich das Leben rund um die Kirche.
Einfach hat es die katholische Kirche auch hier nicht, die sinkende Zahl der Gemeinde-Mitglieder bereitet Sorgen. Aber es sind immer wieder besondere Aktionen, die Mut machen und für die Bedeutung im Viertel stehen. In der Bücherei organisiert St. Marien regelmäßig einen Vorlese-Nachmittag, der vor allem von Älteren genutzt wird. Kaffee und Kuchen wird gereicht, die Vorlesestunde kostet nichts. Das Leben in der Gemeinde spiegeln auch die ruhigen Stunden wider.
Gewohnheiten haben sich verändert
Die sonntäglichen Gewohnheiten haben sich verändert. „Erst in die Kirche, dann zum Frühschoppen in die Eckkneipe und danach zum Mittagessen, so etwas gibt es kaum noch“, sagt Thomas Eisenmenger. Dabei besteht mit der Gastronomie eine enge Verbindung: Das „Haus Union“ an der Schenkendorfstraße war früher in Gemeindebesitz. Der große Saal diente als ein Anlaufpunkt für die Jugend der Stadt, als noch keiner was von Arena oder Turbinenhalle ahnte. Heute proben dort Chöre und Sängerkreise. Mancher trinkt nach getaner Arbeit an der Theke sein Pils.
Zurück an der „Mülheimer“ wird es wieder wuselig. „Um die Ecke, in der Pizzeria, kann man gut Essen gehen“, sagt Thomas Eisenmenger. Nebenan am St. Josef-Hospital kommt ein Rettungswagen an. Das Hospital gehört zum Katholischen Klinikum Oberhausen (KKO), die Kirchengemeinde St. Marien zählt im Aufsichtsgremium zu den Trägern.
Der markante Doppelturm von St. Marien orientiert sich am Dom von Florenz. Das Marienviertel hat seinen Charme immer behalten.
Sie sind nur ein Karnevalsverein
Wenn sich die Karnevalswagen zur Narrenzeit durch die Straßen schlängeln, fällt ein närrisches Gefährt besonders auf: Oberbürgermeister Wehling als Reiter auf dem Goldesel. Kanonen mit Seifenblasen. Konfetti-Raketen oder in einem Traum aus 1001 Nacht gewandete Wagenbesatzung. Die KG Blau-Gelb St. Marien gehört zu den bunten Vögeln im Konfetti-Kosmos, obwohl sie dem Hauptausschuss als Dachverband gar nicht angehören.
Im Schatten der Kirche fing alles an. Ein Teil stammt aus der Jugendarbeit der Gemeinde, andere sind aus dem Viertel hinzugekommen. Heute werkelt die Gruppe das gesamte Jahr an Ideen für die Aufbauten der Wagen. Mit einem holprigen Bollerwagen fing alles an. Es klingt wie ein Märchen. Es war einmal...
Ursprung im Pfarrkarneval
Vor vielen Jahren war der Wagen der Marianer noch nicht mit Kamelle und Stofftieren, sondern mit Gerstensaft, Wurstkringeln und Käsehappen beladen. Die quirlige Gruppe zog als Gast an den Straßenrand der Innenstadt. Den Standplatz für heitere Helau-Salven wählte die Gruppe mit Bedacht. Die Luise-Albertz-Halle im Blick, die Kirchtürme von Marien im Nacken — in der „Rathaus-Kurve“ wurde der Besuch des jecken Treibens zum Ritual.
Ein eigener Verein, nur ein Narrenscherz? Nein, schließlich bewegten viele schon als Männerballett „The Light Girls“ im Pfarrkaneval begnadet ihre Körper. In einer Gaststätte am Friedensplatz hockten sie sich zusammen. Ergebnis: 2002 erfolgte die Polonaisen-Premiere mit einem eigenen Karnevalswagen.
Stammplatz in der Rathauskurve
Eintagsfliegen sind bei ehrenamtlichem Schaffen nicht selten, doch die Marianer setzten zum Höheflug an: Zwei Jahren später gründete sich der Verein Blau-Gelb St. Marien. Mittlerweile sind ihre Wagen preisgekrönt, die Unabhängigkeit von Verbänden haben sie sich bewahrt.