Oberhausen.
Um die schlechte Nachricht direkt vorwegzunehmen: Sidos Konzert am Sonntagabend in der mit 3500 Fans ausverkauften Turbinenhalle hat Augenblicke, die bei jeder Karnevalssitzung wahrscheinlich eine Rakete nach der anderen erzeugt hätten. So meint der Berliner zwischendurch von allen guten Rap-Geistern verlassen: „Sag’ mal, kennst du George Foreman?“, „Klar!“, „Der hat für Nivea geworben – Nivea, for men!“
Doch der 33-Jährige ist ja eigentlich nicht zum Scherzen gekommen. Der Mann, der bürgerlich Paul Hartmut Würdig heißt, thematisiert in seinen Songs durchaus soziale Missstände, taucht ein in gesellschaftliche Diskrepanzen – gerne verbal deftig.
Videoduett mit Helge Schneider
Sein ziemlich genau zweistündiger Auftritt beginnt zunächst cineastisch: Kein Geringerer als Mime Moritz Bleibtreu („Lola rennt“) lässt in einem Filmeinspieler den Protagonisten Sido beim familiären Holzhacken vor seinem Haus entführen und von übel dreinblickenden Schergen gefesselt in einem finsteren Kellerloch verhören.
Auf der ausgerollten Knitter-Leinwand endet diese mit Filmzitaten gespickte Szene für Sido tödlich. Er landet nach einem Schuss aus dem Revolver an einer blank geputzten Bartheke und trifft dort das Böse in Person. Komiker Kurt Krömer spielt den Barmann im weißen Anzug und erklärt zügig den neuen Aufenthaltsort: „Ich bin Beelzebub, Teufel, der Wendler!“
Doch die Hölle muss auf Sido warten. „Du hast noch was vor, du musst heute in Oberhausen spielen!“, sagt Krömer und blickt in die Kamera. Mit einem Dröhnen blendet der Projektor das Flimmerwerk aus. Sido erscheint. „Höchste Zeit, dass ich mich mal wieder melde! Ohne mich ist deutscher Hip-Hop nur ein Kinderspielplatz!“
Markige Worte der rüden Gangart bleiben im ersten Konzertabschnitt aber Mangelware: Sido, einst als rotziger Rapper zum Schwiegermutterschreck erkoren, hat geheiratet (Moderatorin Charlotte Engelhardt), ist Vater und verteilt nun die volle Breitseite auf der Gefühlsebene. Der Mann, der sich zwar zuletzt als Jury-Mitglied der österreichischen Talentshow „Die große Chance“ eine Keilerei mit einem ORF-Journalisten lieferte, zeigt sich nun eher in Balladen-Stimmung.
Das ist nicht verwerflich, klingt aber dauerhaft ungewohnt: Die Konzerttour „30 11 80“, angelehnt an sein Geburtsdatum, ist zu Beginn stimmungstechnisch nicht automatisch auf dem Sido-Punkt.
Der 33-Jährige muss ackern. „Genau in dieser Halle habe ich mal ein Konzert von Busta Rhymes gesehen. Und es waren nicht so viele Leute hier und die waren auch nicht so laut!“ Fortan fließen Worte wie süße Schokolade („Mein Block“) und ans Herz geht die Sido-Saga auch. Der Berliner bittet Patrick aus dem Publikum auf die Bühne, der seiner Nadine einen umjubelten Antrag macht. Das reißt aus der Konzertroutine – aber wohl vornehmlich Leute, die nicht wissen, dass eine identische Aktion schon beim Konzert in Köln vonstatten ging. So etwas wirkt leider arg berechenbar.
Wirklich brillant ist dagegen der Videoeinspieler des Mülheimer Komikers Helge Schneider, der mit dem Berliner ein fingiertes Live-Duett („Arbeit“) abliefert und darin ständig an seiner wuscheligen Mütze zupft. Helge und Sido geben – nun auch wirklich – ein urkomisches Paar ab.
Sido rappt in Oberhausen
Zwei Stunden Sido zeigen viel von einer Metamorphose vom Rapper-Rüpel zum Familienmenschen: Dass der Berliner erst in den Zugaben richtig poltert, könnten Puristen des Genres als blutleer bezeichnen.