„Außen ist es die Weite, innen bist Du im Mutterschoß, das ist beeindruckend nicht nur für Oberhausen und das Revier, das ist beeindruckend für die ganze Welt.” Hier oben auf dem Gasometer, ruft der Schauspieler Michael Witte noch einmal seine Theatererlebnisse in dem gewaltigen Raum ab.
Johannes Leppers spektakuläre Verschmelzung von Fellinis „Orchesterprobe” mit Büchners „Dantons Tod” zu „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” ist da, mehr aber noch eine zweistündige Monolog-Fassung von Henrik Ibsens dramatischem Gedicht „Peer Gynt”.
Der Gasometer als Erlebnisraum, für Michael Witte hat er gewiss etwas Sakrales, er ist überzeugter Katholik gewesen als junger Mensch, auch begeisterter Messdiener - bis zu seinen Erfahrungen mit den Salvatorianern im Internat.
Witte wird am 17. Oktober 1957 in Köln geboren, es ist der Geburtstag von Georg Büchner, den viele für den bislang bedeutendsten deutschen Dramatiker halten und zu dessen Werken auch Witte eine besondere Beziehung hat. Seinen ersten Auftritt hat er als Matrose „Hein” im blauen Seemannsanzug beim Abschlussfest der Volksschule 1966. Bei „Blau, blau, blau sind alle meine Kleider” rutscht der falsche weiße Bart und eine randgefüllte Aula bricht in Gelächter aus. „Un”-freiwillige Komik ist seitdem sein Markenzeichen.
Vom "Hein" bis zum "Peer Gynt"
Nach der Volksschule geht er noch für zwei Jahre zum Gymnasium in der Kreuzgasse, dann kommt der ElfJährige ins Internat: Kloster Steinfeld in der Eifel, Salvatorianer. Bis Mitter der Siebziger bleibt er dort, dann hält er es nicht mehr aus, türmt mit zwei Freunden und geht aufs St. Michael Gymynasium in Bad Münstereifel, drei Jahre, ohne die Eltern. „Trotz reichlich Sex, Drogen und Rock'n'Roll habe ich noch ein ganz passables Abitur gemacht”, grinst er heute, gut 30 Jahre später, bei Cappuccino im Gasometer. Zwei Jahre jobbt er nach dem Abi, auch als Kindergärtner und Stahlarbeiter.
Bei Ciulli war's eine tolle Lehrzeit
Dann beginnt er 1979 doch, in Berlin Theaterwissenschaften und Publizistik zu studieren. Schon im ersten Jahr entdeckt er in seiner musischen Hausgemeinschaft die Liebe zum Theaterspiel. Es ist die heiße Zeit der Hausbesetzungen, Michael Witte ist mit dabei, als der Kunst- und Kulturverein Kreuzberg besetzt wird. Er lernt polnische Theatermacher kennen, begeistert sich für ihr aggressives Training, merkt gleichwohl, dass er eine richtige Ausbildung braucht: „Ich wollte aber nicht aus Berlin weg und die Hochschule der Künste dort wollte mich nicht.” Dreimal kommt er in die Endauswahl, dreimal wird er abgelehnt. Da schwört er sich: „Ich zeig's euch, ich werde Schauspieler.”
Er macht Sprech- und Körpertraining, leistet sich einen privaten Lehrer und erlangt 1985 tatsächlich die Bühnenreife - und ein Engagement an Roberto Ciullis hochrenommiertes Mülheimer Theater an der Ruhr. „Das war eine wahnsinnig wichtige Lehrzeit”, und eine kostbare Verschmelzung von Privat- und Theaterleben. In Ciullis Ensemble arbeitet die wunderbare Schauspielerin Veronika Bayer, sie und Michael Witte werden ein Paar, bleiben es lange Jahre, er lernt von seiner mehr als 17 Jahre älteren Partnerin viel, sie unterstützt ihn, baut ihn auf, der eigentlich gar nicht so selbstbewusst ist, immer wieder von Selbstzweifeln getrieben wird. Noch heute sagt er dies mit Ehrfurcht und Dankbarkeit. Veronika Bayer stirbt Anfang 2008, da sind sie schon auseinander, eine starke emotionale Beziehung ist geblieben, unverkennbar.
Von Mülheim aus geht Michael Witte 1993 nach Konstanz, erlebt bis 1996 ein echtes Stadttheater, dann zieht es ihn trotz des wunderbaren Bodensees zurück ins richtige Leben, er arbeitet frei als Schauspieler und Regisseur u.a. in Köln, Darmstadt, Aachen, Mülheim und Castrop-Rauxel. Seit 2000 auch regelmäßig am Theater OB, wo er 2004 fest ins Ensemble kommt.
Langweilig ist es nie
Es könnte ja langweilig werden, sechs Jahre fest im Oberhausener Theaterensemble. „Ist es aber nicht”, sagt Michael Witte, „es sind immer wieder andere ästhetische Konzepte, neue Regisseure und Intendanten. Schade, dass das Theater nicht den Andrang hat, den es verdienen würde. Man müsste den Theaterbesuch zur Pflicht machen.” Aber es nutze nichts zu lamentieren, meint Witte auch, „wir müssen dagegen halten”.
Inszeniert hat er inzwischen, auch Oper gemacht: Im Darmstädter „Freischütz” hat Michael Witte eine Sprechrolle, den Samuel. Die Operette als Kunstform schätzt er, erinnert sich, in seiner Studienzeit im Berliner Theater des Westens bei einem Robert Stolz-Abend mit Marcel Prawy in der Bühnengasse gestanden zu haben: „Ich habe über die Kitschlieder richtig geheult.”
Seine Lebensgefährtin, eine 44-jährige gebürtige Australierin, ist freischaffend als Bratschistin, oft auf Tournee. Wo es geht, ist Michael Witte, seit dem Sommer 2009 verheiratet, in ihren Konzerten. Er hat Beziehung zur Klassik und inzwischen auch zur Region. „Als ich damals von Berlin nach Duisburg gezogen bin, war das ein echter Kulturschock. Heute mache ich überall auf der Welt Reklame für die Kohlenpottmenschen, für ihre unsagbare Herzlichkeit, ihre Offenheit.”
Wenn wir uns nicht auf dem Gasometer getroffen hätten? „Dann beim Opgen-Rhein, ein toller Typ und er kocht phantastisch.” Aber er sitzt auch gern in den Cafes der City. Fit hält Michael Witte sich mit Sport, und er hat die Liebe zur Fotografie wiederentdeckt.
In der nächsten Folge stellen wir Karin Kettling vor.