Oberhausen. Sie ist überall, bei jeder Akton des Theaters dabei. Bei Wind und Wetter radelt sie durch die Stadt, regelmäßig trifft man die Schauspielerin Anna Polke auch auf dem Altmarkt. Die Sprecherin des Ensembles ist angekommen, seit 17 Jahren.
Es ist 17 Jahre her, Anna Polke, heute Mittvierzigerin, ist damals noch ein Twen. Beinahe eine Theatergeneration ist vergangen, aber die Rolle hat sich in die Erinnerung eingebrannt wie kaum eine zweite: Anna Polke als Sams in der hinreißenden Familienproduktion „Eine Woche voller Samstage” zur Weihnachtszeit 1992. Damals wird dem Chronisten klar: Paul Maar muss diese Rolle für diesen Irrwisch einer Schauspielerin geschrieben haben, für diesen liebenswert chaotischen Krauskopf. Jetzt sitzt sie an einem regnerischen Novembernachmittag in der Schloss-Gaststätte, in die wir gewissermaßen vor uns selbst geflüchtet sind, als Beispiel einer Verweigerungshaltung: Anna Polke ist wahrlich keine 17 Theaterjahre älter geworden. Das Umfeld hier am Kaisergarten, da ist sie gern, die Ludwig Galerie hat sie als ihren Lieblingsort gewählt. Man wusste es. Die Tochter eines der berühmtesten Künstler dieser Zeit (Sigmar Polke), ist in einem besonderen Element hier zwischen den Bildern. Die leidenschaftliche Fotografin wird von Kunst-Ausstellungen magisch angezogen. Dennoch: sollten wir doch besser in die Gaststätte gehen und nicht hier schwätzen – obwohl die Exponate von Ralf König ja förmlich nötigen zum Dialog.
Eigentlich will Anna als Ärztin friedlich in den Untergrund
„Was soll ich dir eigentlich erzählen, du kennst doch sowie so alles”, nippt Anna an ihrem Mineralwasser. Gut, beginnen wir in Düsseldorf: Dort wird Anna Polke am 22. Juni 1964 geboren, ein vier Jahre alter Bruder ist schon da, 18 ist Sigmar Polke, als er zum ersten Mal Vater wird, bei Anna ist er immerhin 22, die Mutter 28. In einer Glasmalerei haben sie sich kennengelernt. Acht ist Anna, als die Eltern sich trennen, die Mutter zieht mit den beiden Kindern in eine Berliner WG. Von einer eher mäßigen Grundschülerin entwickelt sich Anna zu einer richtig guten Gesamtschülerin, Mathe und Naturwissenschaften sind ihre Stärken, sie liebäugelt damit, Ärztin zu werden.
Am liebsten im Untergrund, Anna Polkes Vorbild ist Salvador Allende, „der hat friedlich etwas geschaffen, bis sie ihn ermordet haben”. Auch Ghandi wird ein Vorbild, die Schauspielerin ist seit mehr als 20 Jahren überzeugte Buddhistin, einmal wöchentlich treffen sich Oberhausener Buddhisten privat, abwechselnd reihum. Der friedliche Untergrund reizt sie, die die Waffe in der Hand verabscheut und alsbald den medizinischen Plan aufgibt. Schon in der Gesamtschule macht Anna Polke in einer Theatergruppe mit, das erste Stück, Alfred Kubins „Die Traumstadt”, hat an ihrem 16. Geburtstag Premiere, die Laienspieler muten ihren Eltern viel zu: vier Stunden lang dauert die Aufführung.
Kunterbunt schafft sie die Schauspielschule
Bald geht Anna zur Theatergruppe der VHS, lernt über Kurse Tanz, Pantomime und Schauspiel, liest Stücke, vor allem aus Reclam-Heften. 1982 schafft sie ein ziemlich gutes Abitur, bewirbt sich an Schauspielschulen, fliegt siebenmal in der ersten Runde raus. Dann setzt sie ein Lehrer in Gogols „Die Heirat” in Szene, Anna soll so kommen, wie sich ihre Oma es vorstellen würde, wenn Anna zu ihrer eigenen Hochzeit geht. Anna kommt mit grünem Rock, rotem Schal und gelbem Hemd. Genauso spricht sie an der Hamburger Schauspielschule vor – und beginnt dort 1985/86 ihr Schauspielstudium.
Nach vier Jahren schafft sie den Abschluss mit Ach und Krach, und hat Glück, dass sie während des Studiums schon Leute vom Hamburger Schauspielhaus und vom Thalia Theater kennengelernt hat. Im November 1990 kann sie am Schauspielhaus ihre erste kleine Rolle spielen. Viele werden folgen.
Klassische Ensembleschauspielerin
Nach Oberhausen kommt Anna Polke, da ist sie eigentlich noch Anfängerin. Gerade einmal ein paar Monate bleibt sie am Hamburger Schauspielhaus, dann wechselt sie zu Klaus Weise nach Darmstadt geht für ein Jahr wieder nach Hamburg, als Weise in Oberhausen als neuer Intendant das Schauspielhaus vorbereitet, und kommt zu dessen Eröffnung zur Spielzeit 1992/93 an unser Haus.
Inzwischen arbeitet Anna unter dem dritten Intendanten hier, sie kann der Zeit mit Klaus Weise ebenso Gutes abgewinnen wie den fünf Jahren mit Johannes Lepper. Anna ist die klassische Ensembleschauspielerin, teamfähig, bei jeder Sonderaktion dabei, aber auch eine knallharte Individualistin, wenn es darum geht, sich nicht verbiegen zu lassen. Da wundert es nicht, dass die inzwischen 45-Jährige beinahe seit Beginn ihrer Oberhausener Zeit auch Ensemblesprecherin ist, ledig zwar, aber gewissermaßen mit wechselnden Partnern. Ganz früher war dies mal Günter Alt, jetzt teilt sie sich die Aufgabe mit Klaus Zwick.
Sie liest hervorragend Krimis
Wenn Schauspieler, die neu in diese Stadt kommen, hier auch wirklich ankommen, es ist sicherlich auch das Verdienst der leidenschaftlichen Fotografin, deren Generalproben-Fotosammlung mit den jeweiligen Ensembles Einmaligkeitswert haben dürfte. Dass sie bei Leseaktionen hyperaktiv ist (sie liest hervorragend Krimis), davon macht sie ebenso wenig Aufhebens wie von ihrer Betreuung der Theatergruppe im Katholischen Stadthaus oder dem Umstand, dass ihr Vater zu den weltweit angesagtesten Künstlern unserer Zeit gehört. Lange wechselte er auf den Plätze Eins und Zwei mit Gerhard Richter.
Lieber spricht sie über ihre Leidenschaft, zu Silvester die Ebertstraße abzufackeln, und Reisen, meist in Gruppen die sie nicht kennt und in Breiten, die sie noch weniger kennt: Galapagos Inseln oder Island, China, die USA. Anna Polke ist das personifizierte Fernweh, bei aller Treue zu Oberhausen. In der nächsten Folge stellen wir Henry Meyer vor.