Oberhausen.. Liederabend der besonderen Art: „Bei lebendigem Leib“ im alten Europa-Palast. Eine individuelle Huldigung des problematischen Genies André Heller.

Ein historischer, einst wichtiger Ort, der wie ein klaustrophobisches Gefängnis wirkt, und eine melancholische, psychisch ausgereizte Hommage an den „größten Poeten unserer Zeit“ André Heller: Das Theater Oberhausen entdeckt den ehemaligen Europa-Palast als Spielraum mit Charisma, um die Uraufführung über den als Liedermacher seit 1982 verstummten Wiener „Alleskönner“ dorthin zu verlegen. Ein multimediales Musiktheater, ein Thriller, ein Heimatabend, ein Narziss-Spiegel, eine Poeten-Lektion, eine Schmerzens-OP, eine individuelle Huldigung eines problematischen Genies, dem die öffentlichen Auftritte in jenem Jahr zur „großen Qual“ wurden. Er stieg daher aus – und um.

Der „Kultur-Guru“

Denn still wurde es um André Heller seit den 80er Jahren nie. Er machte Filme, schrieb Bücher, warb mit Shows für Afrika, inszenierte Theater, spezialisierte sich auf „Weltevents“. Den aus einer wohlhabenden jüdischen Familie stammenden „Kultur-Guru“, Jahrgang 1947, lassen Martin Kindervater (Regie) und Martin Müller-Reisinger (Schauspieler) als philosophierenden Skeptiker mit seinen Chansons „auferstehen“. Wie aus dem Keller der Kulturgeschichte erzählen sie noch einmal Stationen, Szenen, Lieder, Nachdenklichkeiten und Traumata nach.

Wo einst die Westdeutschen Kurzfilmtage starteten, wandert der selbst ernannte Halbbruder René Heller, begleitet von seinem naiven, aber hysterischen Fan (Anja Schweitzer als Erika-Pluhar-Verschnitt, mit dieser Schauspielerin war Heller früher verheiratet), durch eine fiktive Landschaft der Erinnerungen.

An Emotionen orientiert

Hier wird keine minuziöse Biografie nacherzählt, sondern das Autoren-Duo orientiert sich an Emotionen, an Begriffen, an Gedanken, an Liebe und Gewalt. Als würde Heller noch einmal seine schönsten und schwierigsten Songs in einen Fokus der Gegenwart zwingen, an der er sich reibt, aus der er sich zurückzieht.

Die Intensität der Aufführung, ein Riss durch die allgemeine Heuchelei, auf der nüchternen Halb-Dunkel-Bühne von Anne Manns ist der Musik (am Klavier: Kay Weiner, sehr einfühlsam) und der authentischen Nähe der Schauspieler zu verdanken. Martin Müller-Reisinger und Anja Schweitzer zelebrieren ein unter die Haut gehendes Requiem für einen noch lebenden Großkünstler, der „Bei lebendigem Leib“ zur Kultfigur als „Schmerzensmann“ stilisiert wird – übrigens auch von sich selbst.