Oberhausen. . Wer als Erzieherin arbeitet, braucht Ausbildung, Fingerspitzengefühl, Erfahrung. Das merke ich in den nächsten Stunden, in denen es darum geht, die 17 Kinder, die heute da sind: zu beobachten, zu fördern, zu loben, zu bestätigen, zu trösten, zu unterrichten und, ja, auch zu maßregeln im Sinne von: Regeln beibringen.

Der Tag im Kindergarten beginnt mit einem Morgenkreis um neun Uhr, spätestens dann müssen alle Kinder da sein. Die Schicht von Sven Oymann, seiner Kollegin Sarah Weinberger und Praktikantin Kim Norden hat schon um halb acht begonnen, bis 16 Uhr werden sie im Einsatz sein.

Ein Kindergarten heißt heutzutage Kindertageseinrichtung. Ich bin in der städtischen Kita in Tackenberg zu Gast und schlüpfe in die Rolle einer Erzieherin. Und die haben nicht mehr, wie ich es noch von meinen Kindergärtnerinnen aus den Siebzigern kenne, weiße Schürzen an und ein Häubchen auf dem Kopf. „Ziehen Sie ganz normale, nicht zu feine Sachen an, was Robustes“, hatte Sven Oymann (27), stellvertretender Leiter der Einrichtung, vorher gesagt. In seiner Gruppe hospitiere ich.

Fingerspitzengefühl und Erfahrung

Gleich zu Anfang gibt’s von ihm die pädagogische Grundregel, die zugleich auch Arbeitsanweisung ist: „So viel Hilfe wie nötig, aber so wenig wie möglich.“ Dafür braucht es Ausbildung, Fingerspitzengefühl, Erfahrung. Das merke ich in den nächsten Stunden, in denen es darum geht, die 17 Kinder, die heute da sind: zu beobachten, zu fördern, zu loben, zu bestätigen, zu ermutigen, zu trösten, zu unterrichten und, ja, auch zu maßregeln im Sinne von: Regeln beibringen.

Also Morgenkreis. Erzieher Sven Oymann hat mir die Liste mit den 27 Namen der Kinder in die Hand gedrückt, ich darf alle aufrufen und abhaken. Manche Namen gehen beim ersten Lesen nicht leicht über die Zunge, in der Gruppe sind viele Drei- bis Sechsjährige, deren Familien ausländischer, meist türkischer Herkunft sind. Im Bewegungsraum, einem Zimmer neben dem Gruppenraum, hocken alle auf dem Teppich im Kreis um ein Plakat herum. Auf dem sind Lebensmittel zu sehen. Ich rufe einen Namen auf, ein Mädchen: Das muss auf etwas Gesundes auf dem Poster zeigen und es benennen. „Ein Apfel“, piepst Arda.

Gesund frühstücken

Gesund frühstücken ist nämlich gerade ein großes Thema in der Gruppe. „Die Kinder bringen ihr Frühstück von zu Hause mit. Wenn zehnmal etwas Gesundes dabei ist, werden sie ausgezeichnet“, sagt Sven Oymann. Dann verleiht die Gruppe eine Medaille und das Kind darf sich später im Stuhlkreis ein Spiel wünschen.

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Joshua ist heute das Vorbild und mächtig stolz mit Butterbrot und Gurken. Aber noch finden sich allzu oft Waffeln mit Schokocreme oder ähnliches in den Brotdosen, „damit ist der Zuckerbedarf eines Kindes von drei Tagen gedeckt“, erklärt Oymann, der mit seinen Kolleginnen schon einen Elternabend zum Thema gemacht hat.

Nachdem alle noch einmal ihren Namen und ihr Alter gesagt haben – ich komme ein bisschen durcheinander – singen wir gemeinsam. Zwischendurch: Die Lütten anhalten, deutlich zu sprechen, anderen zuzuhören. Das traue ich mich nicht, ich bin ja hier nur Gast, aber die Fachleute im Team, die ihre Bindung zu den Kindern aufgebaut haben, sind am Ball. Trotz allem ist die Atmosphäre ruhig, entspannt.

Zwischen Kindern vermitteln

Dann ist Freispiel angesagt: Bis 11 Uhr dürfen die Kinder auch in andere Gruppen der Kita gehen. Zwei Mädchen bauen ein Zelt im Toberaum auf, ich soll mit hinein und zwänge mich unter die Decke. Ein anderes Mädchen kommt hinzu, will auch mit hinein. „Du nicht“, patzt die eine Kleine. Ich vermittle, bevor Tränen fließen.

Tuğba schmollt und schiebt die Unterlippe vor. Sie hat am Tisch von Praktikantin Kim aus buntem Papier Obst gebastelt. Jetzt soll sie ihren Arbeitsplatz aufräumen. „Keine Lust“, steht in dicken Lettern auf Tuğbas Gesicht. Also gut zureden, Konsequenzen aufzeigen.

Ich beobachte und denke: Gleiche Situationen gibt es auch als Mutter, aber zu Hause schauen nicht sechs andere Kinder am Tisch zu. Immer mal wieder drohen Situationen an diesem Vormittag zu kippen – beim Aufräumen, wenn sich einer langweilt, zwei Kinder aneinander geraten. Aber Streit gehört dazu. Sven Oymann und Kolleginnen müssen ihre Augen in allen Ecken des Raumes haben, um notfalls einzugreifen.

Sechs Männer in städtischen Kindertagesstätten

In den städtischen Kindertageseinrichtungen sind 231 fachpädagogische Kräfte beschäftigt, davon sind nur sechs Männer.

Eine Erzieherin verdient als Berufsanfängerin 2221,21 Euro (Brutto), nach fünf Jahren 3118,42 Euro (Brutto). In leitender Funktion bei einer Kita ab 70 Plätzen gibt’s beim Einstieg 2722 (Brutto), später 3838,12 (Brutto).

Ich schnappe mir Mikael und spiele mit ihm Memory. Der Junge genießt die Eins-zu-Eins-Betreuung und ist schnell beim Aufdecken gleicher Kartenpaare. Sivatharan kommt dazu, will mitspielen und dann doch wieder nicht, Mikael ist genervt. Ausgleichen, mit einbinden – für all das braucht es starke Nerven, auch wenn es gar nicht lautstark zugeht.

Und am Ende des Vormittags merke ich auch, jawohl, dass das Sitzen auf den kleinen Stühlen am Tisch mit den Kindern durchaus auf den Rücken geht.

Okay, das ist nach einem langen Arbeitstag am Schreibtisch vor dem Computer auch nicht anders. Ich merke: Schon nach diesen wenigen Stunden beschäftigen mich die Kinder gedanklich noch lange. Profis haben das jeden Tag.