Oberhausen. Wie es sich auf dem Friedhof lebt? Davon wissen Wolfram und Christa Plate viel zu erzählen. Seit 25 Jahren bewohnen sie ein Haus auf dem Westfriedhof.

Wolfram Plate (64) hat eine ungewöhnliche Adresse. Er wohnt auf dem Friedhof und das seit 25 Jahren. Anfangs, als er gerade erst auf den Westfriedhof gezogen war, musste sich der Oberhausener häufig so ein Gewitzel anhören: „Wie, Du wohnst auf dem Friedhof, die die da wohnen, haben doch alle keine Adresse.“ Oder: Taxifahrer wagten sich abends nicht in die dunkle Abgeschiedenheit. „Sie haben oben an der Straße erst einen Kollegen zur Unterstützung gerufen“, erzählt Plate.

Wolfram Plate und Ehefrau Christa (51) haben aber doch eine richtige Adresse. Ihr kleines, graues Häuschen mit dem entzückenden Treppengiebel liegt an der Emscherstraße 92. Aber mit Straße ist nicht wirklich etwas, hier, wo sich die Mauern des Wohnhauses in das Grün des Westfriedhofs schmiegen. Einzige direkte Nachbarn: die Verstorbenen in der Trauerhalle nebenan, in der Plate auch arbeitet.

700 Beerdigungen

Der 64-Jährige hat nämlich nicht nur eine außergewöhnliche Adresse. Zumindest ebenso ungewöhnlich ist sein Job. Der gebürtige Magdeburger, der Ende 1976 nach Oberhausen kam, nennt sich selbst „Hallenwart“. Nein, jegliche Assoziationen zum Sport, kann man da getrost vergessen. Der gelernte Stahlbauschlosser achtet im Gegenteil gerade bei seinen Schützlingen darauf, dass sie richtig gebettet sind für die ewige Ruhe.

Er gewährt aber auch den Angehörigen Einlass in die Trauerhalle und die Abschiedsräume. Zündet Kerzen an oder fragt die Trauernden, ob sie Musik hören möchten. In den Abschiedsräumen, von denen es vier gibt, dürfen die Angehörigen täglich bis zur Beerdigung beim Verstorbenen Totenwache halten, Abschied nehmen eben. Was Plate ganz besonders am Herzen liegt: „Die Beerdigung soll reibungslos ablaufen.“ Auf keinen Fall dürfe dieser letzte Abschied auch noch zum Alptraum für die Trauernden werden. Deshalb kümmert er sich darum.

Blick auf Grableuchten

All diese Aufgaben hat Plate im Auftrag der Oberhausener Gebäudemanagement GmbH übernommen, die für den Friedhof zuständig ist. Als ihm vor einem viertel Jahrhundert die Stelle samt Wohnhaus angeboten wurde, musste er zunächst seine Frau fragen. Die Kinder waren erst vier und sieben Jahr alt. Wollte die Familie wirklich diese Abgeschiedenheit? Sie wollte. „Für die Kinder war es hier das Paradies“, sagt Christa Plate. Im Garten des Hauses konnten sie mit ihren Spielkollegen toben. „Nachdem deren Eltern ihre anfänglichen Vorbehalte wegen unseres Wohnortes aufgegeben hatten“, sagt die Mutter.

Plate erzählt: „Wenn man in der Stadt wohnt, sieht man beim Blick aus dem Fenster immer das Gewimmel auf den Straßen, hier nur die Grableuchten.“ Und dann schmunzelt er: „Früher war hier Allerheiligen richtig viel los. Da hat man abends beim Blick aus dem Fenster geglaubt, im Rotlichtviertel zu sein.“ Ansonsten ist es nachts auf dem Friedhof verdammt einsam. Deshalb haben und hatten Plates auch immer einen großen Hund.

In den 25 Jahren des Wohnens und Arbeitens auf dem Friedhof hat Plate selbst die Angst vor dem Sterben verloren. Bei so vielen Begegnungen mit dem Tod: „Früher haben wir hier pro Jahr 700 Menschen beerdigt“, sagt er. Heute seien es noch 400, . Plate selbst wünscht sich für sein Lebensende nur: „Ich möchte, dass es schmerzfrei und schnell geht.“ Aber so eine richtige Beerdigung, die ist ihm wichtig. Allerdings: „Die Leute sollen dabei nicht traurig sein.“ Als Abschiedslied wünscht er sich „Junge komm bald wieder“.