Oberhausen. .

Mit schüchternen Blicken betreten 15 Schüler der Gesamtschule Alt-Oberhausen (GSA) den Klassenraum. Skeptisch beäugen sie die Männer in den blauen Jeans, den blauen Sweatshirts und mit dem freundlichen Lächeln. „Keine Angst, wir tun euch nichts“, sagt John* und lacht. Es ist ein merkwürdiges Lachen. Es ist ansteckend und einschüchternd zugleich. In Gangster-Filmen lachen sie manchmal so.

Von ungefähr kommt diese Assoziation nicht. Denn der Klassenraum ist ein besonderer. Er befindet sich in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Gelsenkirchen, im Knast. 600 Gefangene, rund 400 Männer und knapp 200 Frauen, sitzen hier ihre Strafen ab. Manche wegen Fahren ohne Führerschein, andere wegen Mord. Ihre Freiheit mussten sie abgeben. Ein Wohlfühlort ist das nicht – davon wollen John und fünf weitere Häftlinge die Oberhausener Schüler überzeugen.

Dummheiten aus Langeweile

Im Rahmen des Projektes „Cool or fool?“ hat die Gruppe die Chance, die JVA zu besuchen, einen Einblick in den Alltag hinter Gittern zu bekommen, zu erkennen, dass ein Aufenthalt im Knast alles andere als cool ist. Im Unterricht haben sich die Jugendlichen auf diesen Tag vorbereitet. „Ein Besuch im Knast ist eben kein Ausflug in den Zoo“, sagt Katrin Dickopf, Lehrerin in der JVA. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Mareike Wacker leitet sie das Projekt.

John übernimmt die Begrüßung. Er sitzt in Haft, weil er „kiloweise Marihuana“ verkauft hat. „Davon kann ich nur abraten“, sagt er und grinst verlegen. Seine offene Art und kleine Scherze lockern die Stimmung auf. Die Schüler tauen auf, stellen erste vorsichtige Fragen. „Es sind halt auch nur Menschen“, sagt Leon (16). Katharina gibt aber zu: „Ein mulmiges Gefühl hatte ich am Anfang schon.“

John steht da wie ein Berg. Seine langen schwarzen Haare hat er nach hinten gebunden. Er ist das muskelgewordene Symbol der Unüberwindbarkeit, er vermittelt: Ihr kommt hier nicht rein – dafür sorge ich. „Ich war damals dumm. Wer Langeweile hat, kommt auf dumme Ideen. Also seht zu, dass ihr eure Schule macht, ein ordentliches Leben führt“, sagt er. Er spricht auch vom Gefühl der Würdelosigkeit, von Toiletten mitten in der Zelle, von einer Stunde Hofgang am Tag. „Dabei fühlt man sich wie ein Tier im Gehege“, sagt er.

Besonders schlimm, so erzählt es Emre* den Schülern, sei es am Wochenende: „Da gehen wir nicht unserer Arbeit in der JVA nach, also sind wir wirklich komplett in der Zelle. Party machen gibt es bei uns nicht.“ Popshot nennen die Gefangenen diese 23-Stunden-Haft. Die Stimmung in dem Klassenraum wird immer bedrückender.

Plötzlich öffnet sich die Tür. Zwei Justizvollzugsbeamte treten ein. Fabian, ein Schüler der GSA folgt ihnen. Er trägt einen großen Wäschesack auf dem Arm. „Oh, Frischfleisch“, tönt John. Er gibt das Alphatier. Fabians Gesichtsfarbe wird noch einen Ton blasser.

Erste Station für Neuzugänge

Anders als seine Schulkameraden ging Fabian nicht durch die Besucherpforte, sondern durch „die Kammer“. Das ist die erste Station eines jeden Neuzugangs. „Ich musste mein Handy abgeben, meine Klamotten ausziehen, wurde durchsucht. Sogar in Mund, Nase und Ohren wurde geguckt. Dann habe ich neue Kleidung bekommen und musste in einem anderen Raum noch Fragen beantworten. Ob ich Drogen nehme. Oder Familie habe“, erzählt Fabian. John lächelt. Fabian nicht. Seine Mitschülerinnen Mihriban und Katharina erkennen ihn nicht wieder: „Er ist immer so fröhlich. Jetzt ist er ganz still.“ Wie er sich gefühlt hat? „Nicht wie ein Mensch, irgendwie ohne Würde“, sagt er. Die Häftlinge nicken. Die Freiheit ist für sie das kostbarste Gut geworden.

*Name geändert