Oberhausen. .
Es ist doch immer wieder erstaunlich: Man glaubt, inzwischen wirklich alles über die Zeit des Nationalsozialismus zu wissen. Scheinbar jede Gräueltat wurde als Buch, Film oder Zeitungsartikel ausgebreitet. Und doch ist da jedes Mal wieder dieser Schrecken, der einem in die Glieder fährt beim Betrachten von Bildern, beim Lesen von Zeilen, die Betroffene selbst verfasst haben.
So auch bei einer am gestrigen Sonntag im LVR-Museum auf dem Altenberg-Gelände eröffneten Ausstellung. Sie zeichnet die Biografien von Deportierten ins Ghetto Litzmannstadt nach, darunter auch 50 Männer und Frauen aus Oberhausen.
Unerhörte Hilferufe
„Meine liebe, gute Frau Eichberg! Warum ich auf meine vielen Karten an Sie immer noch ohne Nachricht bin, ist mir rätselhaft. Hoffentlich sind Sie gesund.“ So schreibt Rosa Hillmann am 27. Dezember 1941 in einer Postkarte an ihre Freundin in Oberhausen. Mit ihrem Mann Jakob wohnte sie vor ihrer Deportation in das polnische Lager in der Moltkestraße 125.
Völlig verzweifelt versuchte sie offenbar, Kontakt zu Bekannten aufzunehmen: „An Familie Hirsch, Sander, Katz, Benjamin, Jockels und Weissenbergs habe ich separat geschrieben und um Geldsendung gebeten, niemand lässt etwas von sich hören.“ Ihr Mann hat zu dem Zeitpunkt eine Lungenentzündung, sie selbst eine Darm- und Gallenblasenentzündung. „Ich bitte Sie sehr, verkaufen Sie was und senden uns Geld. Jeder Betrag ist zulässig.“
Anonymität der Opfer aufheben
Die Geschichten der Menschen auf den schlichten Schautafeln gehen unter die Haut. „Es ist außerordentlich wichtig, dass wir die von den Verantwortlichen des Massenmordes beabsichtigte Anonymität der Opfer aufheben“, sagt Kuratorin Hilde Jakobs zur Eröffnung im Industriemuseum. Dies gelingt sehr gut, wenn man sich einlässt auf den schweren Weg, den jüdische Frauen, Männer und Kinder aus den Regierungsbezirken Köln und Düsseldorf gegangen sind.
Um drei dieser Transporte ins Lager Litzmannstadt (polnisch Lodsch) im Herbst 1941 geht es in der Schau, 3014 Menschen aus dem Rheinland wurden damals gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Was sie in der Zeit danach ertragen mussten, zeigen Texte und Bilder, die von der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf und dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Archiv Lodsch zusammengetragen wurden.
Die Postkarte der Oberhausenerin Rosa Hillmann hat ihre Empfängerin nie erreicht. Wie so viele andere Hilferufe blieb dieser unerhört. Im Juli 1942 verstarb Rosa Hillmann im Ghetto, ihr Mann Jakob folgte ihr zwei Jahre später.