Bahn bildet Schlecker-Frauen für Arbeit im Stellwerk aus
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Düsseldorf/Oberhausen. . Die Deutsche Bahn bietet ehemaligen Angestellten der insolventen Drogeriemarkt-Kette Schlecker eine neue Chance. Um den zunehmenden Mangel an Fachpersonal zu beheben, hat der Konzern in NRW mit der Ausbildung mehrerer arbeitsloser Verkäuferinnen zu Weichenwärterinnen und Fahrdienstleiterinnen begonnen.
Zunächst 14 ehemalige Schlecker-Beschäftigte würden zurzeit in einer mehrmonatigen Qualifizierung für den Dienst bei der Bahn vorbereitet, so der NRW-Konzernbevollmächtige Reiner Latsch. Im Mai und in den Folgejahren 2014 und 2015 seien weitere Ausbildungsplätze für Verkäuferinnen geplant. Nach der Schlecker-Pleite hatten sich in NRW mehr als 4500 Angestellte arbeitslos gemeldet. Nach einem Jahr hatten nur 40 Prozent von ihnen eine neue Stelle gefunden.
Betriebsintern werden sie „die Herzstücke“ genannt. Auf dem Flur, in E-Mails, sogar vom Ausbildungsleiter. Das passt so gut, weil im Eisenbahner-Jargon der Mittelteil einer Weiche, die kurze Schienenkreuzung, der Übergang von Alt zu Neu, eben der Richtungswechsel „Herzstück“ heißt. „Die Herzstücke“ sind 14 Frauen, die vor einem Jahr bei der insolventen Drogeriemarktkette Schlecker in die Arbeitslosigkeit geschickt wurden. Jetzt lassen sie sich als erste Quereinsteiger-Gruppe von der Deutschen Bahn (DB) in NRW zu Weichenwärterinnen und Fahrdienstleiterinnen umschulen. Weitere „Schlecker-Frauen“ sollen ab Mai und in den kommenden beiden Jahren an die Schiene. Wann, wenn nicht hier, wäre das abgegriffene Sprachbild von der „Weichenstellung“ in ein neues Leben noch gestattet?
In NRW wird bei der Bahn bis 2020 jeder dritte Mitarbeiter ausscheiden
Gabriele Tekath rückt die dunkle Lesebrille zurecht, beugt sich über das Mikrofon und sagt mit fester Stimme: „Auf Gleis 3 hat Einfahrt…“. Die 51-jährige Duisburgerin sitzt im Aussichtsturm des Stellwerks Oberhausen vor einer Fußballtor-großen Schaltwand, die von leuchtenden Linien durchzogen ist. Hier werden die Weichen und Signale des Schienenverkehrs im westlichen Ruhrgebiet gestellt. Aktuelle Warnmeldungen knarzen durch den Lautsprecher. Die Lokführer draußen melden „Personen im Gleis“ oder „Oberleitungsschäden“.
„Die größte Umstellung sind für mich die Technik und die vielen neuen Abkürzungen“, sagt Gabriele Tekath. 14 Jahre lang hat die gelernte Verkäuferin bei Schlecker in Duisburg an der Kasse gesessen, Regale eingeräumt, den Laden geschmissen. Dann kam die Kündigung an ihrem 51. Geburtstag. Für sie, alleinstehend mit einer erwachsenen Tochter, eine Katastrophe. Sie schrieb 80 Bewerbungen, doch es kam kaum etwas zurück. „Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Alter noch mal so eine Chance bekomme“, sagt sie. Ihre Tochter habe ihr Mut gemacht: „Mutti, das packst du.“
Das Glück der „Schlecker-Frauen“ ist das Personalproblem der Deutschen Bahn. Allein in NRW wird bis 2020 jeder dritte von insgesamt 31.000 Mitarbeitern ausscheiden. „Wir spüren den demografischen Wandel“, erklärt Reiner Latsch, der Konzernbevollmächtigte in NRW. Bundesweit liege der Altersdurchschnitt der Bahn-Belegschaft bei 46 Jahren. Es werde immer schwieriger, qualifizierten Nachwuchs für die mehreren hundert verschiedenen Berufsbilder bei der Bahn zu finden.
Frühere Schlecker-Beschäftigte sollen möglichst rasch zu Weichenwärter geschult werden
Bei den Weichenwärtern und Fahrdienstleitern war die Not so groß, dass die normalerweise zweieinhalbjährige Bahn-Ausbildung im April 2011 erstmals zu einer mehrmonatigen Qualifizierung zusammengestrichen wurde. Für Ulrich Käser, Chef der Duisburger Arbeitsagentur, eine gute Gelegenheit, um ältere Arbeitslose für eine solche Kurzausbildung ins Gespräch zu bringen. Die Arbeitsagentur bezahlt die Qualifizierung in der Hoffnung, möglichst viele ihrer „Kundinnen“ demnächst in festen DB-Jobs mit 2008 Euro (Weichenwärterin) und 2127 Euro (Fahrdienstleiterin) Brutto-Monatslohn zu sehen. Auch der psychologische Effekt gerade im schwierigen Revier-Arbeitsmarkt sei nicht zu unterschätzen, findet Käser: „Das ist ein tolles Beispiel für Mut und Entschlossenheit, dafür, dass es immer weitergeht.“
Ausverkauf bei Schlecker
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Exakt 4759 Schlecker-Beschäftigte waren in NRW arbeitslos gemeldet. Nur 40 Prozent von ihnen haben bislang eine neue Stelle gefunden. 15 Prozent sind in Rente oder außerhalb der offiziellen Statistiken untergekommen. Dass die Deutsche Bahn einmal Endstation Sehnsucht werden könnte, hatte kaum jemand auf dem Zettel. „Die müssen schon beißen, denn so ein beruflicher Umstieg ist nicht einfach“, sagt Marc Loose, Ausbildungsleiter bei der Bahn. Dass jemand zu alt sein könnte für den Neuanfang, hält er trotzdem für Quatsch: „Man merkt den Frauen an, dass sie schon Verantwortung für ihr Leben getragen haben und die Chance wirklich wahrnehmen wollen.“
Im März will Gabriele Tekath ihre Abschlussprüfung schaffen. Je häufiger sie ins Stellwerk kommt, desto wacher werden Kindheitserinnerungen. Ihr Großvater war Lokführer. Manchmal durfte sie ihm bei der Arbeit zuschauen. Bald ist sie nicht mehr „Schlecker-Frau“, sondern selbst Eisenbahnerin.
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