Oberhausen.
Schöne Altbauten mit überwiegend gepflegten Fassaden, Häuser, die individuelle Gesichter haben, Straßen mit altem Baumbestand: Das Marienviertel hat, was eigentlich im Stadtbild fehlt: etwas Altehrwürdiges, Feudales.
Es ist nicht so leicht zu sagen, wo das Viertel anfängt und wo es endet, denn es gibt einen engen Bezug zum Rathausviertel und zur Innenstadt und alles, was sich rund um den Ebertplatz befindet, gehört auf jeden Fall gefühlt dazu.
Lothar Peters (69), der 1956 in ein Haus auf der Falkensteinstraße zog und seit Jahrzehnten auf der Ebertstraße wohnt, beantwortet die Frage, was er an seinem Viertel vorteilhaft findet, so: „Überall ist es schön, zu Hause ist es am schönsten!“
Zu Hause ist für ihn Alt-Oberhausen und sein Marienviertel, denn: „Hier wohnt man mitten in der Kultur.“ Damit meint er das Theater, das er sieht, wenn er aus dem Fenster schaut. „Ich bin Abonnent seit der Spielzeit 61/62.“
Versorgungsstation Boyen
Gegönnt hat er sich das Abo nach dem Abschluss seiner Berufsausbildung. „Zwischenzeitlich habe ich mal ausgesetzt, dann wieder angefangen mit der ersten Spielzeit von Klaus Weise 1992.“
Doch auch das Ebertbad, in dem er als Junge noch Schwimmunterricht hatte „im Rahmen des Faches Leibesübungen“ besucht er gern „so zwei bis drei Mal im Jahr“.
Almuth Boyens Lädchen auf der Ebertstraße gegenüber dem Theater, wo es praktisch alles, insbesondere aber Geschenkkörbe zu kaufen gibt, nennt Peters „eine Versorgungsstation“ und zu Oli’s Büdchen auf dem Ebertplatz sagt er: „Das war immer schon da, früher geführt von Opa Mollenhauer, der im Haus gegenüber wohnte. Das war lange offen, bis 22 Uhr. Hatte man Besuch und der alkoholische Bestand reichte nicht aus, konnte man dort Nachschub holen.“
Mit dem Zug zur Arbeit
Ein Vorzug des Viertels, sagt Peters, sei die Nähe zum Bahnhof. Die hat er zwischen 1979 und 2003 täglich genutzt, um mit dem Zug nach Essen zur Arbeit zu fahren. Auf die Idee, in die Nachbarstadt zu ziehen, ist er nie gekommen. „Meine Großeltern waren Oberhausener, meine Eltern auch und es ist praktisch ein Versehen, dass ich in Kettwig geboren wurde.“ Schuld war der Krieg. „Nach der Bombardierung waren 1943 die Krankenhäuser hier zerstört.“
Katholisch geprägt
1276 Bewohner sind älter als 65 Jahre
Der Bereich Statistik und Wahlen teilt das Marienviertel in einen östlichen und einen westlichen Bezirk und zieht damit Grenzen, die ihre Bewohner nicht unbedingt wahrnehmen.
In beiden Teilen (West und Ost) wohnen 6774 Menschen. Von ihnen sind 3780 zwischen 24 und 65 Jahre alt, 1276 älter als 65 Jahre und 423 jünger als sechs.
2542 Bürger im Viertel sind katholisch, 1664 evangelisch, 2568 haben keine oder eine andere Religion, eine Anzahl (Stand 31. 12. 2011), die unseren Viertel-Experten Lothar Peters ganz sicher sehr überrascht.
Die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen 5626 Bewohner des Viertels, 1148 haben eine andere Nationalität.
Und nicht nur die, sondern auch viele Wohnhäuser in Peters’ geliebtem Viertel, weshalb die nach dem Krieg gebauten Häuser neben denen, die stehen blieben und/oder restauriert wurden, das Bild einer schönen Altbausubstanz hier und dort doch arg trüben.
„Das Viertel ist katholisch geprägt“, sagt Peters und schätzt die Anzahl der Katholiken, deren Kirche ihm den Namen gibt, auf zwei Drittel. Außerdem sei es eher ein Viertel der älteren Generation. Peters: „50 plus überwiegt.“
Schandfleck Lyzeum
„Zu alt, um Häuser zu besetzen und zu jung, um mit anzusehen, wie das einst schöne Lyzeum an der Elsa-Brändström-Straße verfällt und niemand etwas dagegen tut“, hatte die Initiative, die sich vor einigen Jahren formierte, das ausgedrückt. Auch Peters bedauert sehr, dass eine Lösung für Restauration und Nutzung des Gebäudes, dessen Fenster mit Brettern vernagelt sind, immer noch auf sich warten lässt. „Meine Frau und meine Cousinen gingen dort zur Schule.“
Wohnungen selten frei und teuer
Kindergarten, Grundschule, Gymnasium, Innenstadtnähe – für junge Familien eignete sich das Viertel schon, doch die schönen, großen Altbauwohnungen sind selten frei und noch seltener erschwinglich, was schon manch ein Schauspieler schwer bedauerte, der nach Oberhausen zog. Hinzu kommt, dass, wer hier einst mit seinen Kindern lebte, bis ins hohe Alter bleibt – in der gleichen Wohnung, auch wenn er sie mittlerweile allein bewohnt.
Überalterung droht
Das Jugendzentrum am John-Lennon-Platz hat Peters selbst nie besucht. Als es gebaut wurde, war er bereits erwachsen. Auf dem Sportplatz, der sich daneben befindet, hat er als Junge Fußball gespielt. Sollte das Jugendhaus abgerissen und der Plan, dort altengerechte Wohnungen zu bauen, tatsächlich umgesetzt werden – da ist Peters d’accord – wäre das fürs Viertel ein weiterer Schritt in Richtung Veralterung.
Wenig Läden überlebten
Wie alle Menschen, die den verlorenen Kampf des Handels vor Ort mit den Supermärkten und Einkaufszentren miterlebten, kann sich ein Mann wie Peters noch gut an alle Läden erinnern, die es zum Beispiel auf der Mülheimer Straße mal gab. Buchhandlung, Haushaltswarengeschäft, Fleischerei, Bäcker, Reisebüro, Damenmoden, Tapeten… An der Ebertstraße Ecke Elsa-Brändström-Straße, wo es heute feine Fahrräder gibt, war früher ein Café.
Das Falstaff ist ein Treffpunkt
Peters: „Das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Dort trafen sich die Theaterleute.“ Als Treffpunkt für sie und die Zuschauer, findet Peters, sei das Falstaff ein Segen, weil es Leben ins Viertel bringe. Ein paar weitere Möglichkeiten, essen zu gehen, gebe es außerdem, zum Beispiel im Gasthof zum Rathaus, wo man draußen sitzen kann oder im Fischrestaurant Chamai. Doch für jemanden wie Peters, der die Viertel-Grenzen nicht ganz so eng zieht – „eigentlich zwischen Sedanstraße, Mülheimer Straße, Liebknecht- und Lipperheidstraße und Brücktortraße einschließlich Virchowstraße mit evangelischem Krankenhaus“ - gehört auch das Restaurant an der Luise-Albertz-Halle zum kulinarischen Umfeld dazu.
Wildes Parken
Lothar Peters ist nicht der Typ, der gerne meckert. Doch gerade weil die Kultur in seinem Viertel zu Hause ist, haben sich in der Vergangenheit viele, die dort wohnen, über wildes Parken beschwert. Wenn zum Beispiel im Ebertbad und im Großen Haus des Theaters gleichzeitig Vorstellungen sind, werden regelmäßig die Parkplätze, die für die Anwohner mit Parkausweis vorgesehen sind, zugeparkt. Kontrolliert wird das abends nicht.