Oberhausen. Die Siedlung Grafenbusch ist seit ihrer Gründung im Jahr 1910 im lebendigen Wandel. Vom elitären Villenviertel zu einer bunt gemischten Nachbarschaft.
Rund um den Grafenbusch hangeln sich manche Legenden: Vielleicht liegt es daran, dass an vielen Häuserwänden wie bei Dornröschenschlössern der Efeu an den altehrwürdigen Steinen entlang wächst und das Innere so etwas Geheimnisvolles umgibt. Einer, der schon lange hier lebt, ist Olaf Stöhr.
„Grafenbusch ist für viele nur ein Villenviertel, in dem ausschließlich Vorstandsmitglieder wohnen“, sagt er. Eine Legende, denn die Siedlung, die in vier Bauabschnitten seit 1910 entstand, hat sich grundlegend gewandelt. Von einer elitären Wohnanlage in Werkbesitz zu einer bunt gemischten Nachbarschaft mit viel Grün.
„Es ist hier mittlerweile eine ganz normale Siedlung“, sagt Stöhr mit Gelassenheit. Eine Siedlung mit guter Nachbarschaft. Hier würden die Menschen nicht bloß als Nachbarn nebeneinander wohnen, sondern miteinander leben. „Hier gibt der eine noch auf den anderen acht – so etwas findet man eigentlich sehr selten.“
Seit den 70ern in privater Hand
Zwischen 1910 und 1923 entstand die Siedlung Grafenbusch. Sie reicht heute vom Fußweg am Gasometer bis zur Konrad-Adenauer-Allee, liegt als „Insel“ zwischen Bahndamm und Kanal. Der Architekt Bruno Möhring entwarf die Siedlung für hochrangige Angestellte der Gutehoffnungshütte (GHH). Später, 1957 bis 1970, übernahm die Firma Thyssen die Siedlung. Seit den 70er Jahren sind die Häuser in privater Hand.
Rundgang Am Grafenbusch
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Das Projekt „Grafenbusch“, das zu Beginn unter dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der GHH Paul Reusch startete, entstand in unmittelbarer Nähe zur eigentlichen Hütte. Das bedeutete: kurze Wege. Olaf Stöhr deutet auf den ursprünglichen Kern der übersichtlichen Siedlung, die ausschließlich aus Wohnhäusern besteht. Gewerbe und Gastronomie gibt es nicht. „Die Villen in der Mitte der Fläche sind als erstes errichtet worden, die äußeren Bebauungen folgten über die Jahre.“ Durch den Weg zum Gasometer und den direkten Durchgang zum Centro sind zusätzliche Wege hinzugekommen. Heute ist der Grafenbusch beliebt für den „Durchgangsverkehr“ bei Radfahrern und Spaziergängern, die zwischen den schmucken Häusern gen Kanal ziehen oder über die Konrad-Adenauer-Allee hinweg zum Schloss Oberhausen wollen.
Zeitlich nicht stehen geblieben
Im Schloss Oberhausen arbeitet auch Olaf Stöhr. Für ihn liegt der Arbeitsplatz also quasi vor der Haustür. Die letzten Häuser der Siedlung sind in den 90er Jahren hinzugekommen. So stehen kurz vor dem Gasometer die aus Holz gefertigten Bauten, die zunächst Musterhäuser waren und nun ganz normal bewohnt werden. Die Bebauung ist ein Teil der IBA Emscherpark, was zeigt, dass Grafenbusch zeitlich nicht stehengeblieben ist.
Obwohl die Siedlung unter Denkmalschutz steht, hatten die Anwohner Gelegenheit, die Häuser herzurichten. Olaf Stöhr hat an seinem Haus alleine zwei Jahre gewerkelt. „Möglichst glaubhaft am Original“, sollte es sein. Sitzt man im Wohnzimmer mit den hohen Deckenkonstruktionen, spürt man, dass sich der Aufwand, der mit Freunden und Bekannten in mühevoller Kleinstarbeit erfolgte, gelohnt hat.
Eine ganz normale Siedlung
Greifbar wird die Geschichte vor allem, wenn man in den Garten geht: Dort ist an der Kellertür zunächst eine kleine aufsteigende Treppe zu sehen, erst dahinter geht es abwärts in die unteren Räumlichkeiten, wo sich Werkstatt und Lagerplätze befinden. Der Grund: das Wasser. Nicht immer wohlriechendes Wasser. „Früher führten Arme der Emscher bis in die Gärten. Die Treppe diente also als Schutz, damit nicht das Nass in den eigenen Keller lief.“ Am äußersten Rand der Gartenanlage geht Stöhr selbst auf Heimatforschung. „Es ist von ehemaligen Bewohnern überliefert, dass sich hinter den Gärten ein kleiner Feldweg befand“, erklärt er. „Der soll früher als Kutschweg benutzt worden sein, um Hochzeitsgäste im Grafenbusch abzuholen. Oder um Leichen zu transportieren.“
Verträumte Straßen
Die Geräuschkulisse der benachbarten Autobahn und Bahnstrecke hört Stöhr gar nicht mehr. Schlendert man durch die verträumten Straßen, sieht man immer wieder Details vergangener Zeiten, wie etwa geschlossene Abwassereingänge, die aus der Zeit um 1910 stammen. Der kleine Bunker der Siedlung ist mittlerweile vollkommen mit Grünzeug überwuchert. Früher befand sich hier ein Paradeplatz, heute flaniert man überall: Vor allem die Wege zum Kanal sind beliebt, daneben steht eine Fläche als Bolzgelegenheit zur Verfügung. Eine ehemalige Rollschuhanlage wird vor allem von BMX- und Inlinefahrern genutzt. Der Wandel der Zeit – im Grafenbusch ist er eine Mischung aus Erinnerungen und modernen Einflüssen.
Zahlen, Daten, Fakten
Zusammen mit Borbeck und Neue Mitte leben in Grafenbusch 3733 Einwohner, 276 davon haben keine deutsche Staatsangehörigkeit.
Die meisten Menschen in diesem Quartier sind katholischen Glaubens (1622), 984 sind Protestanten und 1127 fühlen sich einer anderen oder aber auch keiner Religion zugehörig. Die Arbeitslosigkeit liegt in dem Bezirk bei 6,1 Prozent.
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