Zwischen Gasometer, Grafenbusch und Kanal fühlt sich Anne Bodengesser-Zimmermann am wohlsten
„Da schau sich einer dieses Kleinod an.“ Anne Bodengesser-Zimmermann steht einen Schritt entfernt von dem Metallzaun, der sich um die Aussichtsplattform des Gasometers spannt. Mit der Höhe hat sie es nicht so, sagt die 54-Jährige, den Blick über Oberhausen will sie aber nicht missen. „Kaum ein Ort in der Stadt zeigt so sehr, wie gut wir Altes mit Neuem vereinen“, meint die Leserbeirätin. Deshalb hat sie sich den ehemaligen Gasspeicher als Startpunkt für unseren Rundgang ausgesucht. Dazu wollte sich die gebürtige Bergisch-Gladbacherin aber nicht alleine aufmachen: An ihrer Seite steht deshalb Ehemann Jochen Zimmermann.
Das ist auch völlig richtig so, hätte sie ohne den 54-jährigen gebürtigen Alt-Oberhausener unsere Stadt doch nie kennengelernt: „Ich habe in Aachen studiert und bin nach Oberhausen gezogen“, erinnert sich die Mutter zweier Kinder. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger malt sie auf der Aussichtsplattform stehend die Essener Straße nach und sagt: „Anfang der 80er Jahre bin ich erstmals hier gewesen, da sind wir diese Straße entlang gefahren – und haben rechts und links nur Mauern gesehen.“ Was sieht sie heute? „Ich bin immer noch überrascht, wie grün das hier ist.“
Ins Grüne wollen die Königshardter nun führen, mit dem Aufzug geht es also hinunter vom Stahlkoloss. Quer durch den noch geschlossenen Klettergarten laufen wir, weil sich kein Weg zwischen all den Bäumen findet, und kommen so ans Ufer des Rhein-Herne-Kanals. „Das war früher unsere innerstädtische Grenze“, erinnert sich Jochen Zimmermann. Hier endet der Süden, dort beginnt der Norden: „Als Kind des Südens bin ich nur selten über die Brücke in den anderen Teil der Stadt gelaufen“, sagt der Rechtsanwalt und grinst verschmitzt. „Wir haben aber drauf gesessen und die vorbeifahrenden Schiffe mit Erbsen beschossen.“
Seine Frau beobachtet derweil die Ruderer auf dem Kanal, dann winkt ihr ein Radfahrer vom anderen Ufer aus zu. „Die innerstädtischen Grenzen sind immer noch da“, sagt sie. „Wenn ich in die Stadt fahre, fahre ich nach Sterkrade. Oberhausen sagt man, wenn’s zur Marktstraße geht.“
Ein weißer Hund läuft an uns vorbei, verschwindet zwischen den hohen Büschen, in die nun auch Jochen Zimmermann führt: „Das ist sie, meine alte Rollschuhbahn“, sagt er feierlich und streckt seine Arme so weit von sich, als wollte er den kleinen Platz umfassen, der zwischen dem Gebüsch schlummert: Ein geteerter Kreis hat sich über diese Anhöhe gelegt, verwittert an manchen Stellen, an denen aber immer noch ein Kinderlachen widerhallt. Anne Bodengesser-Zimmermann war noch nie her, keine Minute dauert es, bis sie die Bahn umrundet hat, den Geschichten ihres Manns lauschend. Sie bleiben unter einem Baum stehen, an dem jemand notdürftig einige Holzstufen angenagelt hat. „Hier war früher ein Bolzplatz“, sagt Zimmermann. Vor ihm eine frisch gemähte Wiese, auf der nur ein einsames, weißes Fußballtor steht: Totenstille. Dann irgendwo in der nahen Grafenbuschsiedlung ein Rasenmäher.
Oberhausens Stadtteile
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„Das Geräusch kennst du noch“, meint Zimmermann scherzend zu seiner Frau. Die lächelt nur: In ihrem heimischen Naturgarten wird eben nicht gemäht, „da wächst alles, wie die Natur es will“, sagt sie, erzählt, dass sie Mitglied beim BUND sei, und freut sich über die zahlreichen hohen Platanen, zwischen denen sich Schloss und Gasometer über die Grafenbuschsiedlung beugen. „Ein Ort der Ruhe.“
Die Architektur der Herrenhäuser bewundern die Eheleute besonders: hölzerne Fensterläden, rote Tonziegel und dunkler Backstein. „Hier passt jedes Detail“, meint Bodengesser-Zimmermann.
Über die Straße Am Grafenbusch geht es zurück zum Gasometer, vorbei an ein paar Kindern, die vor einem der sogenannten Stern-Häuser ein Fußballtor aufgebaut haben. 1996 hatte das Stern-Magazin gemeinsam mit der Bausparkasse Schwäbisch Hall einen Wettbewerb für das „Wunschhaus der Deutschen“ ausgeschrieben, das kostengünstig zu bauen sei. Am Fuße des Gasometers stehen drei dieser Musterhäuser. „Hier trifft auf Altes wieder das Moderne“, meint Zimmermann.
Am Klettergarten ist mittlerweile einiges los, über den vor einer Stunde noch leeren Trampelpfad zum Kanal hangeln sich jetzt kreischende Kinder und grölende Jugendliche, vor dem Gasometer steht die erste Reisegruppe, die sich mit fremdländischer Zunge unterhält. Die Zimmermanns freut das: „Oberhausen ist erwacht.“
Beamten-Kolonie mit Parkcharakter
In der Siedlung Grafenbusch zwischen Kanal, Konrad-Adenauer-Allee und Essener Straße leben 237 Menschen. Knapp ein Viertel von ihnen ist unter 25 Jahre alt, 45 Menschen sind älter als 65 und der Ausländeranteil liegt bei rund 3,8 Prozent. Seit rund 100 Jahren, seit April 1909, gehört Grafenbusch zu Oberhausen, die dortige Siedlung wurde aber erst zwischen 1910 und 1923 als „Beamten-Kolonie“ für leitende Angestellte der Gutehoffnungshütte (GHH) erbaut. In diesem Zeitraum entstanden insgesamt 21 Häuser mit 35 Wohnungen mit bis zu 300 Quadratmetern Wohnfläche. Nach der Zerschlagung des GHH-Konzerns erwog die Führung der Thyssen AG als neue Eigentümerin den Abriss der Siedlung. Sie wurde aber unter Denkmalschutz gestellt und ist bis heute als Teil des Stadtbezirks Alt-Oberhausen erhalten geblieben. Sie gehört zur Route der Industriekultur.
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