Oberhausen. .
Benjamin Obermüller (31) ist Historiker und schreibt seine Doktorarbeit am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte der Ruhr-Universität Bochum. Sein Thema: „Hermann Reusch und der Gutehoffnungshütte (GHH) Aktienverein 1945-1966“. In der Nachkriegs-Geschichte Oberhausens kennt er sich also bestens aus. Warum die Stadt für historische Forschung noch immer ein Volltreffer ist und was für Potenziale in der Stadtgeschichte stecken, erzählte er WAZ-Journalistin Melanie Meyer im Interview.
Herr Obermüller, Ihr Doktorvater Dieter Ziegler bietet, passend zum 150-jährigen Stadtjubiläum, eine Vorlesung zur „Stadt der Guten Hoffnung“ an. Sie haben sich in Ihrer Forschungsarbeit in erster Linie mit der GHH beschäftigt. Was für Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Benjamin Obermüller: Am Anfang wusste ich zwar, dass Oberhausen ein bedeutender Industriestandort war, doch mir war nicht bewusst, wie wenig bisher auf diesem Gebiet geforscht wurde. In gewisser Weise stehen GHH und Oberhausen ja in einem Verhältnis zueinander wie Krupp und Essen, doch in der Fachliteratur taucht die GHH nur vereinzelt in Aufsätzen auf. Diese beziehen sich meistens auf die Zeit vor 1945. Danach wird alles ziemlich nebulös.
Warum liegt dieses Forschungsfeld brach? Ist es schwierig an Quellen zu kommen?
Benjamin Obermüller: Im Gegenteil. Der komplette Nachlass der GHH ist im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Köln erhalten und leicht einsehbar. Das sind 1,4 Kilometer Akten, da gibt es eine Menge Forschungspotenzial. Warum das bisher nicht genutzt wurde, weiß ich nicht.
Und wie interessant ist Oberhausen als Forschungsgegenstand für Studenten?
Benjamin Obermüller: Es gibt in Oberhausen (also im Rheinischen Industriemuseum) einen kleinen Bestand zur GHH Gruppe und den Nachlass von Ernst Garnjost, dem Leiter der GHH-Standort Oberhausen. Ich selbst bin dort für mein Thema nicht fündig geworden, da sich alle relevanten Akten zur GHH nach 1945 im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv befinden. Für Studenten, die vor ihrem Abschluss stehen, ist die Arbeit damit eine tolle Erfahrung in Sachen Aktenstudien. Oberhausen ist ein gutes Beispiel für die Industrialisierung im Ruhrgebiet – für eine Masterarbeit lassen sich hier Teilaspekte erarbeiten, die Sie mit anderen Ruhrgebietsstädten vergleichen können.
Was hat Sie an Hermann Reusch, der GHH und Oberhausen interessiert?
Benjamin Obermüller: Anfangs war ich skeptisch, ob das nicht zu trocken wird. Oberhausen selbst spielte nur eine untergeordnete Rolle, da es zwar GHH-Sitz war, jedoch nach der Entflechtung der Kohle- und Stahlindustrie durch die Alliierten nicht mehr so wichtig war. Seit 1873 war die GHH Aktienverein. Ich habe mich in meiner Forschung auf die Amtszeit von Hermann Reusch, von 1945 bis 1966 Vorstandsvorsitzender des GHH Aktienvereins, bezogen. Dafür habe ich mir 4000 Akten aus dem GHH-Nachlass Reuschs angeschaut.
Was haben Sie dabei herausgefunden?
Benjamin Obermüller: Man beschäftigt sich sehr intensiv mit dem Menschen, man weiß, wie viel er verdient hat, wann er welche Krankheit hatte. Außerdem hatte Hermann Reusch einen tollen Humor. Seine Korrespondenz war zwar sachlich, aber nicht so steif geschrieben. Das war überraschend, denn aufgrund der wenigen Fachliteratur hatte ich ihn falsch eingeschätzt. Während er dort als konservativer Gewerkschaftshasser galt, habe ich ihn liberaler kennengelernt – vor allem in der Kulturpolitik. Die Gewerkschaften hat er allerdings wirklich gehasst. Er war eine interessante Persönlichkeit und ein spannender Unternehmer.
In welchem Licht sehen Sie Oberhausen?
Benjamin Obermüller: Ich kannte den Gasometer, Eisenheim und das Centro. Es ist spannend, die historischen Wurzeln zu erforschen, sich die Frage zu stellen, welche Entscheidungen zur heutigen Situation geführt haben. Am Ende stellt sich mir die Frage: Wo ist das Potenzial von damals geblieben? Vielleicht ist die Neue Mitte mit dem Centro der richtige Schritt.
Die Ruhr-Universität Bochum hat Oberhausen für sich entdeckt. Passend zum Stadtjubiläum bietet Professor Dieter Ziegler, Leiter des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, das Oberseminar „Die Stadt der „Guten Hoffnung – Oberhausen im 19. und 20. Jahrhundert“ an. Im April startet das Seminar, das sich an Studenten kurz vor dem Masterabschluss richtet.
Möglich wurde es durch eine Kooperation mit dem LVR-Industriemuseum. Das Seminar beinhaltet einen praktischen Teil im Museum. In der Pfingstwoche werfen die Studenten einen Blick in die inhaltliche und museumspädagogische Arbeit. Sie sind somit aktiv an der Vorbereitung der Ausstellung „Stadt der Guten Hoffnung“, die im September eröffnet wird, beteiligt. Das Konzept sieht vor, dass Lehramtsstudenten und Fachhistoriker unterschiedliche Aufgaben bekommen. So betreut Museumsleiter Burkhard Zeppenfeld in erster Linie die angehenden Lehrer und arbeitet mit ihnen am pädagogischen Museumskonzept. Gleichzeitig arbeiten die Fachhistoriker mit Quellenmaterial im Stadtarchiv. Begleitet werden sie von Dieter Ziegler.
„Es ist möglich, dass sich für den ein oder anderen ein Thema für eine Masterarbeit erschließt“, erklärt Ziegler. „Als ,Kind der Industrialisierung’ wurde über Oberhausen von Heinz Reif bereits eine sehr gute, umfassend aufgearbeitete Stadtgeschichte geschrieben. Mit dieser Grundlage kann man gezielt in einzelne Bereiche einsteigen.“
Für den Lehrstuhlleiter ist ein solches Seminar nichts Ungewöhnliches. „Ich mache das immer wieder, dass ich mit den Studenten Exkursionen in Museen oder Archive mache, in denen sie mit den Quellen recherchieren können“, sagt er. „So bekommen sie eine andere Chance ein Thema einzuschätzen.“ In Oberhausen seien Fragen wie „Welchen Einfluss hatten die Bergbaugesellschaften im 19. Jahrhundert?“ oder „Was passiert mit den Brachflächen nach dem Niedergang im 20. Jahrhundert?“ interessante Ansätze.
Auch Museums-Volontär Daniel Sobanski ist diese Methode nicht unbekannt: Er selbst kam durch so eine Exkursion auf das Thema seiner Master-Arbeit, die er bei Dieter Ziegler schrieb. Da beide noch immer in Kontakt stehen, wurde auch die Kooperation möglich. „Als ich von der geplanten Ausstellung berichtete, kamen wir schnell auf die Idee, daraus etwas Gemeinsames zu machen“, erzählt Sobanski, „für unser Ausstellungskonzept ist die Zusammenarbeit eine interessante Ergänzung.“