Oberhausen. . Auch in Oberhausen gibt es jetzt einen dead drop, einen sogenannten toten Briefkasten. Das weltweit verbreitete Kunstprojekt lädt zum anonymen Austausch ein - bietet aber auch eine Plattform für die Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke.
Fühlt sich an wie Schnitzeljagd: herumschleichen, eine ausgedruckte Wegbeschreibung in der Hand, um eine Mauerritze zu finden, in der jemand etwas hinterlassen hat, was man hier, zwischen Wasserturm und Technologiezentrum, nie und nimmer vermuten würde – einen USB-Stick. Der Fotograf Axel Scherer sucht, ganz dicht am brausenden Verkehr der Mülheimer Straße, nach etwas, das ihn neugierig macht, aber auch skeptisch.
Das Speichergerät im roten Backsteingemäuer ist Teil einer Kunstaktion, die in New York begann und inzwischen weltweit nachgeahmt wird. Die Idee dahinter stammt vom Berliner Künstler Aram Bartholl, der mit seinen dead drops (tote Briefkästen) Schnittstellen zwischen digitaler und realer Welt schafft: Menschen, die an Mauern lehnen, irgendwo im Stadtgebiet, um Daten mit anderen, ihnen Unbekannten, zu teilen.
Der Laptop steht Kopf
Axel Scherer, der den Stick inzwischen gefunden hat, mit Fugenpaste und Mörtel sorgfältig befestigt, mit einer Plastikkappe geschützt, würde jetzt auch gerne an der Mauer am TZU lehnen, dann wäre die ganze Sache etwas bequemer. Doch der USB-Eingang seines MacBooks und die Tatsache, dass er kein Kabel dabei hat, zwingen ihn dazu, den Laptop auf dem Kopf anzuschließen und sich selbst zu verbiegen, um die Daten vom Stick auf den Rechner zu verschieben.
Den „toten Briefkasten“ kennt Scherer noch aus seiner Jugend, als er YPS-Hefte gelesen und sich für Agentenfilme begeistert hat. „Die Idee ist lustig“, sagt er. Jemand hinterlässt anonym eine Nachricht, die ein anderer liest, der auch etwas hinterlassen kann. So können Menschen, die sich nie begegnen, Fotos, Texte und Musik austauschen.
Dennoch ist der Fotodesigner unsicher: „Wenn es hier darum geht, urheberrechtlich geschütztes Material auszutauschen, finde ich das nicht gut.“ Das könne er, der selbst Urheber ist, nicht gutheißen. „Kunst und Kreativität müssen genauso gerecht entlohnt werden wie jedes Handwerk auch.“ Eine neue, unkontrollierte Art der Kommunikation dagegen sei „künstlerisch spannend“.
956 Sticks weltweit
Doch was denkt derjenige, der sich aufgemacht hat, einen Stick hier in der Mauer zu versenken. Martin K. möchte zwar seinen vollen Namen nicht nennen, gibt aber am Telefon bereitwillig Auskunft über seine Beweggründe. Eins vorweg: Der Mann ist 28 Jahre alt und von Beruf Programmierer, das erklärt einiges. Er habe von dem Projekt in einem Internetblog erfahren, vor zwei Jahren schon, als alles anfing. „Seitdem wollte ich das schon immer mal selbst ausprobieren“, sagt der Sterkrader. Am 13. Juli hat er es dann getan, als 949. von inzwischen weltweit 956 Menschen, die insgesamt 3095 GB in Mauerritzen von Honululu bis Bayreuth versenkt haben. Unter www.deaddrops.com zeigt eine Karte alle Standorte auf.
Martin K., der den ersten dead drop in Oberhausen installiert hat, wünscht sich einen Austausch über das Leben vor Ort. Er selbst hat ein paar Fotos von Orten wie der Halde Haniel hinterlassen, dazu ein paar Internetvideos, die er empfehlen möchte. Er wünscht sich, dass auch andere regionale Daten hinterlassen, Restauranttipps aus der Umgebung zum Beispiel. „Das ganze ist ein Experiment“, sagt K. Die Idee, „etwas Reales mit einer digitalen Schnittstelle zu versehen“ sei so simpel – und so gut.
Inzwischen hat Axel Scherer das Geheimnis um die Daten auf dem mysteriösen Stick entschlüsselt: ein paar Sonnenuntergangsfotos, Musikvideos – und DJ Bobos „Greatest Hits“. „Ich bin enttäuscht“, sagt Scherer. Trotzdem lädt auch er was hoch, die Kunstaktion „dead drop“ will er unterstützen, das Filesharing von urheberrechtlich geschütztem Material dagegen findet er auch auf diesem Wege total daneben.