Oberhausen.

Wenn Ronald Seidelmann mit dem Zug unterwegs ist, achtet er nicht auf die Straßenzüge und Häuser, die am Fenster vorbeiziehen. Er achtet auf den Zug. Schaukelt der Waggon hin und her? Schleift das Rad in der Schiene? Oder liegt es gut? Dafür hat der Diplomingenieur nach über 25 Jahren schlicht ein Gespür. „Und wenn ich aussteige, gucke ich nach, ob das Rad von uns kommt. Meine Frau muss dann immer lachen.“

Seidelmann, New Yorker mit deutschen Wurzeln, ist Geschäftsführer der GHH Radsatz, einer der ältesten und feinsten Adressen in der Oberhausener Industrie. Die GmbH mit einem Jahresumsatz von rund 85 Millionen Euro ist aus der Gutehoffnungshütte hervorgegangen. Heute gehört sie zur deutsch-französischen Unternehmensgruppe „GHH-Valdunes“.

Vier Produktionsstandorte gehörten zur Gruppe

In Europa gilt diese Gruppe mit einem Jahresumsatz von 180 Millionen Euro als Marktführer für Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Rädern und Radsätzen sowie Fahrwerkskomponenten für Schienenfahrzeuge aller Art. Vier Produktionsstandorte mit insgesamt 900 Mitarbeitern gehörten zu dieser Gruppe. Ihr Hauptsitz sowie Sitz der GHH Radsatz ist das frei stehende Bürogebäude an der Gartenstraße in Sterkrade.

Vom Fenster der dritten Etage aus, in der Ronald Seidelmann sein Büro hat, schaut man auf die vier Werkshallen von Radsatz. Die rund 250 Beschäftigten – mehr Männer und Frauen – haben sich auf den Bereich der so genannten „Light Rail“, sprich Leichtbahnen wie Straßen-, U- und Stadtbahnen, spezialisiert. Radsatz stellt aber auch Räder und Achsen für Hochgeschwindigkeitszüge, Regionalbahnen und Güterwagen her.

Großauftrag und Straßenbahnen in Schweden gesichert

Das Geschäft läuft gut, innerhalb von zehn Jahren hat sich der Umsatz von GHH Radsatz verdoppelt. Fahrzeughersteller wie Siemens, Alstrom und Stadler lassen in den Sterkrader Hallen ihre Radsätze bauen und warten. Die Deutsche Bahn, Verkehrsbetriebe in Australien oder Tschechien gehören zum Kundenkreis. Kürzlich konnte sich das Unternehmen zudem einen Großauftrag für Straßenbahnen in Schweden sichern.

Das Unternehmen arbeitet mit höchster Auslastung, 16 Schichten in der Woche, mit Sondergenehmigung auch sonntags. Seit 20 Jahren habe es bei GHH Radsatz, so Seidelmann, keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben, auch nicht im Krisenjahr 2009, als Radsatz einen Umsatzeinbruch von zwölf Prozent verzeichnete. Im Januar und Februar hat Radsatz sogar 25 Leihkräfte übernommen.

Was GHH Radsatz auszeichnet, ist die Expertise und Präzision im Kleinen. Radserien kleinerer Losgrößen entwickeln die Experten, erforschen neueste Möglichkeiten etwa zur Schallabsorption. Aktuell hält Radsatz zehn Patente in Oberhausen.

Jede Straßenbahn hat andere Radsätze

Die Firma bezieht nur geschmiedete Rohteile, alle spanenden Arbeiten sowie die Montage erledigen die Mitarbeiter im Haus. Die fertigen Teile prüfen sie genau, jede einzelne Radwelle werde drei Mal mit dem Ultraschall durchleuchtet, sagt Seidelmann. „Was nicht korrekt gefertigt wurde, ist Ausschuss.“ Die Radsätze sind bis auf ein 20-Tausendstes eines Millimeters passend gemacht.

„Jede Straßenbahn hat andere Radsätze, auch sind die Schienen unterschiedlich, das muss alles in die Entwicklung einbezogen werden.“ Weil nur nach Auftrag gearbeitet wird, gibt es nur eine Lagerhalle. Auf jedem übrigen Zentimeter des Werksgeländes werden pro Tag bis zu 400 Produktionsaufträge gleichzeitig bearbeitet. Bis zu 22 Tonnen Stahl im Jahr verarbeitet die GHH Radsatz.

Und so soll es auch künftig weitergehen. Radsatz will in den nächsten vier Jahren den Umsatz kontinuierlich um acht Prozent steigern.