Oberhausen. Das ist also die dunkle Seite Oberhausens. Jene Schattenwelt, die der Normalbürger in der Regel nicht zu Gesicht bekommt. Wohl aber die Polizeikommissare Cihan Mutlu (35) und Miriam Felske (25). In ihrer Nachtschicht von Freitag auf Samstag rechnen sie mit Ruhestörungen oder Schlägereien.
Wenn er zu Einsätzen mit türkischen Jugendlichen gerufen wird und sich als Türke zu erkennen gibt, „werden die Türken ruhiger“. „Sie sind oft sogar stolz, dass einer von ihnen bei der deutschen Polizei arbeitet.“ Doch Cihan Mutlu outet sich nicht immer sofort: „In erster Linie bin ich deutscher Polizist.“
Dienstbeginn ist an diesem Freitag um 21.30 Uhr. Stunden später wird Cihan Mutlu über einen türkischen Randalierer sagen: „Bei ihm es egal, ob ich Deutscher oder Türke bin, der bekommt eh nichts mehr mit.“ 2,6 Promille stellt ein Arzt auf der Wache bei dem Mann fest. Da sitzen er und sein Kontrahent bereits in Gewahrsam. Und die Polizei hat in dieser Nacht und bei diesem Einsatz womöglich weitaus Schlimmeres verhindert.
Oberhausens dunkle Seite birgt oft auch ungeahnte Gefahren. Als der Notruf bei der Polizei eingeht, dass es vor einer kleinen Kneipe mitten in der Stadt zum heftigen Streit gekommen ist, dort Männer mit Baseballschlägern auf einander losgehen, fahren Cihan Mutlu und Miriam Felske mit ihrem „11/35“ sofort los.
Straßenkampf in Oberhausen
Kollegen sind bereits vor Ort. Die Kontrahenten, der Türke und ein weiterer Mann, sind kaum noch zu bändigen. Sie beschimpfen sich wüst. Rasten schließlich komplett aus. Drei Polizistinnen greifen den Türken, einen Hünen, der besinnungslos vor Wut nur noch auf den anderen los gehen will. Die Frauen ringen den Mann nieder, stürzen mit ihm noch in einen Blumenkübel. Ein Kollege eilt ihnen zur Hilfe und wird direkt am Fuß verletzt. Es dauert lange, bis sie den Erzürnten so weit beruhigen können, dass es möglich ist, ihn wieder aufzurichten.
Derweil kämpft Cihan Mutlu mit dem Kontrahenten des Türken. Die Straße ist voller Polizeiwagen. Blaulicht flackert ruhelos über Häuserwände. Neugierige Anwohner lehnen in Fenstern. Ein Jugendlicher meint: „Hier ist so viel Polizei, hier könnte auch ein Mord passiert sein.“ Und es wird noch mehr Polizei.
Denn der Dienstgruppenleiter, der jetzt auch vor Ort ist, hat schnell erkannt: Der Kontrahent des Türken gehört zu der Rockergruppe Bandidos, die seit einiger Zeit auch in Oberhausen an der Marktstraße einen Treffpunkt haben.
Die Rocker sind dafür bekannt, dass sie innerhalb kürzester Zeit unzählige ihrer Kumpels aktivieren können, wenn einer von ihnen ihre Hilfe braucht. In der Tat ist schon eine ganze Gruppe muskelbepackter Gestalten Richtung Kneipe unterwegs. Die Männer tragen alle Jacken, auf denen unmissverständlich zu lesen ist, dass sie Bandidos sind. Wem die Muckis nicht Warnung genug sind, der sollte spätestens jetzt wissen, dass es besser ist, sich mit ihnen nicht anzulegen.
Die Nacht ist lang
Doch mit so viel Polizeipräsenz haben die Männer wohl nicht gerechnet. Sie bleiben stehen. Warten. Der Dienstgruppenführer der Polizei fragt schließlich nach ihrem Anführer und was sie vorhätten. Ein Typ in silbrig glänzender Jacke ergreift das Wort: „Nichts weiter.“ Die anderen Muskelpakete unterhalten sich. „Alle auf türkisch“, sagt Cihan Mutlu. Auch das ist über die Bandidos bekannt. Ein großer Teil der Mitglieder soll türkischstämmig sein. Konspirativ sind die Gespräche dieser Männer aber nicht. „Ganz normal“, sagt Mutlu.
Schließlich zerstreuen sich die Rocker wieder. Die Polizei nimmt erste Zeugenaussagen auf. Es geht zurück zur Wache. Berichte werden geschrieben. Die Nacht ist noch lang. Immer wieder neue Einsätze.
Bis zum Morgen werden auch Streifenwagen regelmäßig an der Kneipe und der Unterkunft der Rocker vorbeifahren. In ihrem „Vereinsheim“ sind alle Fenster neonhell erleuchtet. Der Hof ist voller Autos. Aber es bleibt ruhig.
Familienstreitigkeiten
Schon zu Beginn der Schicht trifft Cihan Mutlu auf der Wache auf einen Landsmann, der dort etwas melden will.
Der Mann strahlt, als er Mutlu sieht. Sie begrüßen sich. „Wir waren vor einiger Zeit wegen einer Familienstreitigkeit bei ihm“, sagt Miriam Felske über den Oberhausener, der nur türkisch spricht. Die Polizistin war damals froh, Cihan Mutlu dabei zu haben. „Ich hätte sonst gar nichts ausrichten können.“
Sondergenehmigung
Mutlu weiß noch von fünf anderen Türken, die in Oberhausen bei der Polizei arbeiten. Für ihn, der mit drei Jahren nach Deutschland kam, sei das immer schon sein Traumberuf gewesen. Aber wegen seines türkischen Passes brauchte er nach erfolgreich absolviertem Einstellungstest damals noch die Genehmigung des Innenministeriums.
„Und ich musste in einem Test nachweisen, dass ich meine Muttersprache in Wort und Schrift beherrsche“, erzählt er. Das sei quasi seine Zusatzqualifikation gewesen. Ein tschechischer Kollege Mutlus sagt: „Bei mir war das anders. Mir hat man sogar angeboten, den Einstellungstest auf Tschechisch machen zu dürfen.“ Aber das hätte er abgelehnt mit der Begründung: „Ich will deutscher Polizist werden.“
Die anderen Einsätze in der Nacht, die die beiden Polizeikommissare als ruhig beschreiben, sind vielleicht nicht so spektakulär, aber doch weitere kleine Partikel der Kehrseite der Medaille „Leben“.
Da überprüfen die Polizisten, ob ein prügelnder Ehemann, der der Wohnung verwiesen wurde, sich auch wirklich von seiner Frau fern hält. Ein anderes Mal stehen sie vor der abweisend grauen Fassade eines Mehrfamilienhauses. Eine Bewohnerin hat die Polizei wegen ihres gewalttätigen Freundes um Hilfe gebeten. Doch nun will sie plötzlich keine Polizei mehr. Deshalb können ihr die Beamten nicht helfen. Ihnen bleiben zwei Stunden Schreibarbeit erspart, die ein Wohnungsverweis des Mannes bedeutet hätte.
Falscher Alarm
Dann meldet sich die verschreckte Bewohnerin eines kleinen Reihenhauses. Nebenan bei den Nachbarn höre sie verdächtige Geräusche. Die Polizisten empfängt die Frau flüsternd: „Wir sind mit den Nachbarn befreundet, wenn wir schellen, machen sie immer sofort auf.“ Nur jetzt nicht und dann diese Geräusche.
Doch der Verdacht löst sich in Luft auf. Nur die Tochter der Nachbarn hat Fern gesehen. „Besser Sie rufen einmal zu viel an, als einmal zu wenig“, beruhigt Cihan Mutlu die Frau, der ihr Anruf nun etwas peinlich ist.
Ein Taxifahrer bittet die Polizei um Hilfe, ein Kunde weigert sich zu zahlen. Vor Ort stellt sich heraus, der Kunde will die fünf Euro Zuschlag, die es kostet, wenn fünf Personen in einem Großraum-Taxi transportiert werden, nicht herausrücken. Die Polizisten reden freundlich auf den Widerspenstigen ein, er rückt die fünf Euro raus. Die Sache ist erledigt. Und dann melden sich noch Mitarbeiter einer Polizeidienststelle in Bayern bei den Oberhausener Kollegen. Verwandte eines Mannes, der sich zurzeit in Oberhausen aufhält, haben von ihm eine SMS erhalten, in der er Suizidgedanken äußert.
Die SMS wurde im Bereich des Handymastes auf dem Hochhaus an der Friedrich-Karl-Straße verschickt. Cihan Mutlu und Miriam Felske suchen nun die ganze Gegend ab. Sprechen mit Bahnmitarbeitern. Nichts. Der Einsatz wird abgebrochen.
Selbst im Bereich des Steffy und der Turbinenhalle, wo sonst in den Morgenstunden an Wochenenden immer mit Schlägereien zu rechnen ist, bleibt es ruhig. Nur ein paar nächtliche Disko-Schönheiten stöckeln für eine Novembernacht sehr spärlich bekleidet über den Asphalt.
Autokontrollen
Auch die Autokontrollen sind diesmal ergebnislos. 0,00 Promille bei allen Fahrern. Da können Cihan Mutlu und Miriam Felske gegen 5 Uhr auf der Wache eine verdiente Brötchenpause einlegen. Die Brötchen gibt es backfrisch von einer Großbäckerei. Und dann, wer weiß, noch dauert es eineinhalb Stunden bis zum Dienstende. Da kann noch einiges passieren. Oberhausener Nächte sind lang und manchmal ziemlich dunkel.
Mehr Migranten erwünscht
Die Oberhausener Polizei möchte gerne noch mehr Menschen mit Migrationshintergrund für die Polizeiarbeit begeistern.
„Wir haben das Ziel, dass unsere Mitarbeiter ein Spiegelbild der Gesellschaft bilden“, sagt Polizeipräsidentin Kerstin Wittmeier. Im verstärkten Einsatz von Migranten sieht sie viele Vorteile. „In einer heterogenen Gesellschaft erweitern sie den kulturellen Horizont von uns allen, auch von der Polizei. Sie kennen Sprache und Gepflogenheiten und haben dadurch einen anderen Zugang zu Opfern und Tätern.“ Wittmeier hält auch diesen Aspekt für wichtig: „Zudem ist jeder Polizeimitarbeiter ein integrierter Mitbürger.“
Bei der Oberhausener Polizei arbeiten mittlerweile Menschen aus Österreich, den Niederlanden, Russland oder der Tschechiens. „Die meisten kommen aber aus der Türkei oder dem Balkanraum“, sagt Kriminaloberrat Hans-Jürgen Wietfeld.
Wobei sich die genaue Anzahl der Mitarbeiter mit Migrationshintergrund nicht beziffern lässt, weil sie statistisch nicht gesondert erfasst werden. Und viele auch einen deutschen Pass besitzen. Dunkelhäutige Kollegen gebe es in Oberhausen leider noch nicht, bedauert Wietfeld allerdings.
„Wir machen gezielt Werbung“, sagt Polizeihauptkommissar Peter Schulz. Er geht in Schulen und informiert dort über die Arbeit bei der Polizei. Macht aber auch darauf aufmerksam, dass besonders Menschen mit Migrationshintergrund gesucht werden.
Vorteile haben diese bei der Einstellung dann aber nicht. Sie müssen genauso den Einstellungstest absolvieren wie alle anderen. Die gezielte Werbung, die überall im Land gemacht wird, zeige jedoch bereits Erfolge. Schulz: „2010 wurden 1100 Polizisten neu eingestellt, von denen 124 einen Migrationshintergrund hatten.“