Oberhausen. Der Schauspieler Marek Jera flieht vor dem Lärm der Großstadt immer wieder in die Stille der Natur. Der deutsch polnische Mime ist Ensemble-Mitglied des Theaters Oberhausen.
„Ich behaupte, die Fläche zwischen Köln und Dortmund ist der Geheimtipp in Europa. Nicht wegen der Wirtschaft und der Kultur, sondern wegen der natürlichen Mischung der Gruppen, die hier leben, sie sind nicht künstlich.” Marek Jera sagt dies ohne Pathos, und würde man die Augen schließen, wenn der Schauspieler des Oberhausener Ensembles vom Ruhrgebiet spricht, man würde meinen, dieses Timbre mit dem rollenden „Ärrrrr” gehört einer politischen Legende, Willy Brandt ist wieder auferstanden. Die Stimme des Mimen mit polnischer und deutscher Staatsbürgerschaft, sie ist der des großen Deutschen unendlich nah, der seinerzeit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
In diesem großen Geheimtipp Ruhrgebiet hat Marek Jera noch seinen ureigenen kleinen gefunden, das Wäldlein an der Ripshorster Straße, mehr Gestrüpp und Gebüsch, dezent gelichtet längs der einst zuerst besetzten Häuser in der Region, ein paar Bänke laden nicht wirklich ein an diesem feuchtkalten Herbsttag. Aber der Schauspieler liebt die Ruhe. Wenn ihm etwas an Oberhausen nicht gefällt sagt er, dann ist es der Krach. Die Stadt ist ihm zu laut, es gebe hier keinen Flecken, an dem man nicht irgendeine Autobahn hört. Es mag am zunehmenden Alter liegen, diese Empfindsamkeit für Lautstärke, räumt er ein, für Geräuschkulissen, die er selbst da noch als störend empfindet, wo Oberhausen eher als ruhig gilt. Marek Jera wohnt auf der Bismarckstraße: „Ich muss das Theater zu Fuß erreichen können, man kommt nicht zu spät. So bin ich als Schauspieler erzogen worden: egal welches Wetter ist, man ist pünktlich.”
Die Enge treibt ihn um
Marek Jera wird 1952 in Polen geboren, Ostpreußen, in der Nähe von Allenstein. Sein Vater hat sich als Deutscher dort versteckt, wird rasch Nutznießer einer Amnesie in Polen, „er war ohnehin kein Nazi”. Schon Mitte der Fünfziger Jahre zieht die Familie nach Lodz, Marek Jera macht dort sein Abitur, beginnt ein Schauspielstudium an der international renommierten Filmhochschule in Lodz, die so berühmte Regisseure wie Polanski, Wajda, Zanussi oder Skolimowski hervorgebracht hat. Er kann im Ausland arbeiten, dann wieder am Nationaltheater in Warschau.
Aber die Zeiten werden unruhig in Polen, Marek Jera, unter dessen Großeltern sich zwei Russen, ein Pole und ein Deutscher finden, ist ein Freiheitsfanatiker. Und sein Heimatland droht die leise, soeben gewonnene Freiheit wieder zu verlieren. Obwohl er als Schauspielstudent nicht zum Militär hatte gehen müssen, eigentlich auch die Streiks, die Kämpfe der Solidarnosc damals kaum mitbekommen hatte: Die Enge treibt ihn um. Auch die räumliche. Denkt er nur an die Schlangen vor den Lebensmittelläden damals, wird er nervös. Noch heute kann Marek Jera nicht in einer Schlange mit mehr als fünf Menschen stehen. Und es wundert nicht, dass er, damals noch Raucher, Polen verlässt, als er am Kiosk keine Zigaretten bekommt.
Am 1. August 1981 kommt Marek Jera, da ist er schon verheiratet und Vater zweier Kinder, nach Deutschland. Der Vater lebt als Kunstmaler in Hannover, auch Marek, bleibt in der niedersächsischen Landeshauptstadt, beginnt eine Druckerlehre, lernt Hochdeutsch. Nach zwei Jahren ist er Geselle, bis 1989 bleibt er in dem Beruf, acht Jahre also wird es dauern, bis Freunde ihn auffordern, es doch mal wieder in seinem ersten Beruf zu versuchen: „Da war ich so frech mich zu bewerben und es ging auch relativ schnell, dass ich in Aachen genommen wurde. Ich mache jetzt seit 19 Jahren was mein Beruf ist, aber keine Arbeit. So etwas wünsche ich jedem.” Von Aachen aus kommt Marek Jera ans Schlosstheater in Moers, Rupert Seidel ist dort Intendant, zehn Jahre bleibt er in Moers, erlebt den Wechsel zum Intendanten Holk Freytag und dann weiter zu Johannes Lepper, 2003 kommt Jera mit Lepper nach Oberhausen, zum 33. Mal ist er umgezogen: „Und das ist nicht mein Hobby.”
Reif für die Enkel
Marek Jera muss noch einmal auf die Lautstärke zurückkommen: „Früher habe ich erst auf der Annastraße in Alstaden gewohnt, dann auf der Martin-Luther-Straße, überall habe ich die Autobahn gehört.” Eigentlich wollte er dann in die Goethestraße ziehen, „wegen der Symbolkraft”, es wird die Bismarckstraße, ein anderes Symbol. Er ist dennoch glücklich, damals wegen des „dämlichen Problems” mit den in Polen nicht zu kaufenden Zigaretten nach Deutschland gekommen zu sein.
Natürlich, man könne sich auch schönere Städte als Oberhausen vorstellen: „Es gibt sicherlich Menschen, die sich schmücken mit den Städten, in denen sie leben, Nürnberg und Berlin sind gewiss wunderschön. Aber die Mischung hier aus Kulturschaffenden, Arbeitern und Ausländern, die gibt es so nirgendwo. Hier ist es nicht schwer, so zu sein, wie man ist, man muss sich und andere nicht täuschen, keine Maske aufsetzen.” Fernab der Bühne liebt der Schauspieler das Unverstellte, ist auch deshalb so gern in der Natur. Und hier, an der „Ripse”, da seien eben nicht so viele Menschen wie in dem ja auch wunderschönen Kaisergarten. 57 sei er jetzt, der 28-jährige Sohn lebt in Moers, die 33-jährige Tochter mal in Köln, mal in Essen. „Je älter ich werde, desto wichtiger ist das Leben für mich. Als Künstler befinde ich mich hoffentlich immer noch im Reifeprozess.” Dabei will er aufpassen, „dass die Seriosität des Alters den Schauspieler nicht erledigt”. Jetzt hat alles, was Marek Jera tut, mit seinem Beruf zu tun. Das Lesen, die Recherche im Internet, das Abspecken, um in die Kostüme zu passen, das Mittagsschläfchen, damit er abends fit ist auf der Bühne. Er weiß, dass nur Wenige das Glück haben wie er, das machen zu können, was sie machen wollen. Fehlt nur noch eines – aber: „Wir haben den Kindern gesagt, dass wir soweit sind.” Für Enkel.
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