Oberhausen. Als gebürtiger Iraner gibt Mohammad-Ali Behboudi alias Raschid dem Schauspielhaus eine ganz besondere politische Seele.

Jetzt geht es ihm wieder relativ gut, sagt er, Mohammad-Ali Behboudi kann wieder Theater spielen im Oberhausener Ensemble, ohne Krücken laufen. In den Theaterferien, jetzt, im Sommer, hat er sich die Knie erneuern lassen, künstliche Gelenke. Anschließend ist er drei Wochen in Bad Sassendorf in der Reha gewesen, zwei Tage vor Probenbeginn für „Pferd frisst Hut“ ist er wieder daheim. Das nennt man pflichtbewusst. „Raschid“, wie ihn allen nennen und kennen, ist Disziplin pur auf zwei jetzt wieder voll einsatzfähigen Beinen.

Zwei Staatsbürgerschaften

Lieblingsplatz Arbeitszimmer. Foto: Anja Bäcker
Lieblingsplatz Arbeitszimmer. Foto: Anja Bäcker © WAZ FotoPool

„Daheim" heißt für den 53-Jährigen seit rund einem Jahr Alstaden, nahe am alten Ruhrarm, hat er es sich wohnlich gebaut, großzügig auch. Die Antwort auf die sich aufdrängende Frage, ob sich so etwas mit der Gage des Oberhausener Theaters finanzieren lässt, beantwortet er ungefragt: „Erst ist mein Vater gestorben, dann der meiner Frau. Wir haben etwas geerbt, ich hatte ein Haus im Iran, das habe ich verkauft. Und wir haben auch etwas gespart. Den Rest haben wir finanziert." Den Rollrasen im terrassenartigen Garten hinterm Haus eingeschlossen, akkurater ist kein englischer Rasen. Die andere Seite der großzügigen Glasfassade nach hinten raus, das Innere Lieblingsortes von Raschid, ist nicht minder wohlgeordnet, verhaltener Life Style, hier wohnt Raschid mit Frau und fußballverrücktem Sohn nicht nur, hier lebt er, seit 25 Jahren in Deutschland heimisch, ganz Deutscher, ganz Iraner, Raschid hat beide Staatsbürgerschaften.

Er wird am 23. August 1956 in Qom geboren, einer der heiligen Stätten der Schia. Der Vater ist ein Ayatollah, befreundet mit Khomeini, dem späteren religiösen Führer des Iran, ein bedeutender Mann im Iran.

Raschid macht sein Abitur in Elektrotechnik, leistet den Militärdienst – und geht an eine Schauspielschule. Neun ist er, als er zum ersten Mal Theater spielt, 16, als er mit Freunden eine freie Theatergruppe gründet. Das alles bekommt der Vater nicht, das Theaterspiel ist verpönt im Iran, in Semnan, mehr als 200 Kilometer von der Hauptstadt Teheran entfernt, Künstler sind zu frei. Raschid führt mehr Regie als dass er spielt, damit er nicht so oft auf der Bühne steht, man spielt neue iranische Autoren, aber auch Brecht und Moliere.

Kein einfacher Stand

Schließlich geht er in Teheran zur Schauspielschule, in der Hauptstadt ist das nichts Besonderes, seine politische Heimat findet Raschid in der linken Studentenszene. Die hat keinen einfachen Stand, zumal der Vater ein Jahr nach der Revolution von 1979 sich mit Chomeini anlegt und von allen politischen Ämtern zurücktritt, nur noch unterrichtet und Bücher schreibt. Versuche Khomeinis, Raschids Vater umzustimmen, ihn zurückzuholen, scheitern immer wieder: „Ich bin zu alt.“ Tatsächlich wird der Vater 104 Jahre alt, stirbt erst vor drei Jahren, ist mit Ausnahme der letzten sechs Wochen nie ernstlich krank gewesen in seinem langen Leben.

Für den Sohn wird es langsam eng im Iran, gefährlich, lebensgefährlich, die Linke lebt in steter Bedrohung inhaftiert zu werden, wenn nicht mehr. 1984 verlässt Raschid seine Heimat, ist froh, dass er heil rauskommt, am 30. September landet er in Frankfurt an und denkt im Leben nicht daran, dass er einmal Schauspieler werden wird und Regisseur, eigentlich will er Sport studieren. In der Heimat war er ein guter Tischtennisspieler, ist als Funktionär auf höchster Ebene aktiv gewesen, hat zweimal die Nationalmannschaft bei Auslandsreisen betreut, in Indien und Bahrein. Er war zuständig für nationale und internationale Wettekämpfe, Vorsitzender der Schiedsrichter-Kommission. Im Alstadener Keller steht wieder eine Platte, ab und zu spielt er mit dem Sohn, oft aber darf er nicht, die Knie. Er muss sich schonen, für die Bühne, auf die er hier zunächst gar nicht will, s.u.

Nicht unterordnen

"Pferd frisst Hut" am Theater Oberhausen: v.l. Martin Müller-Reisinger (Bobin, Cousin), Mohammad-Ali Behboudi (Vézinet, tauber Onkel), Angela Falkenhan (Hélène, die Braut), Torsten Bauer (Nonancourt, Schwiegervater in spe). Foto: Klaus Fröhlich © © Klaus Fröhlich

Aber vor 25 Jahren ist Mohammad-Ali Behboudi erstmal in Frankfurt, ein Freund, Ali Jalaly, lädt ihn ein, nach Köln zu kommen, dort sei ohnehin die beste deutsche Sporthochschule. Der Freund studiert in der Domstadt auf der Theaterhochschule. Innerhalb von sechs Tagen hat Raschid eine Zulassung für die Sporthochschule, sechs Gastsemester wird er dort studieren – und schon bald mit dem Freund die freie Theatergruppe Barhard gründen. Sie spielen Stücke aus der Antike des Iran, auch Werke von Jalaly wie “Rausländer“ oder das später mehrfach preisgekrönte „Barfuß nackt Herz in der Hand“, und das Theater wird Raschid immer wichtiger als der Sport. Die Gruppe ist erfolgreich mit ihrem politischen Theater, erst nur persisch, dann zweisprachig persisch-deutsch. Man gastiert am Kölner Schauspielhaus und am Thalia Theater in Hamburg, Raschid besucht die Schauspielschule, macht in Rheydt seine Reifeprüfung für Schauspiel und Musical, bekommt sein erstes Engagement ans Staatstheater Stuttgart.

U.a. unter Wolf Dietrich Sprenger spielt er da, „Nachtasyl“ von Maxim Gorki: „Er mochte meine Arbeit sehr, hat meine Unterlagen an sich genommen und sich für mich eingesetzt.“ Raschid bekommt eine erste TV-Rolle in einem Hamburger „Tatort“ mit Krug/Brauer, geht von Stuttgart ans Zürcher Schauspielhaus als Gast, zurück nach Köln, wieder nach Zürich. Mit politischem Theater wird er nach Rio eingeladen, lernt dort Augusto Boa kennen, der Initiator des Theaters der Unterdrückten. Zurück in Köln gründet er, 1993/94, sein Welttheater, gastiert mit Projekten, etwa Ali Jalalys „Lederfresse“ (mit dem damaligen Oberhausener und heute bei Ciulli in Mülheim engagierten Schauspieler Albert Bork) sogar in Burkina Faso.

Da ist Raschid schon in Oberhausen, im Februar 1995 hat Intendant Klaus Weise Mohammad-Ali Behboudi in sein noch junges Oberhausener Schaupielensemble, nicht als Schauspieler, sondern als Regieassistenten. In drei Produktionen assistiert Raschid auch, dann steht er selbst auf der Bühne und Weise bemerkt sehr bald, dass hinter dem gebürtigen Iraner mehr steckt als ein Bühnendarsteller. Vor allem durch Raschids Arbeit, oft Kooperationen mit dem Welttheater, politisiert sich das Theater zunehmend, bleibt es bis heute, nicht zuletzt auch durch kleinen Produktionen im ehemaligen Raucherfoyer, ob sie nun Teestunde heißen oder Orientbar, die Raschid, ausgestattet mit Vertrag als Schauspieler und Regisseur, in Szene setzt.

Für ihn ist es wichtig, immer die Spannung in der Gesellschaft und der Kultur zu erspüren, gerade auch hier in Oberhausen, seiner neuen Heimat, die er liebt, und deren steten Wandel bei allen Problemen Raschid so aufregend findet. Er habe viel weltgeschichtlich Bedeutsames erlebt, sagt er, seit er nach Deutschland kam, die Perestroika, den Fall der Mauer, jetzt die Wirtschaftskrise, den Wandel hier von der Montanstadt zur Dienstleistungskommune. Und die Menschen, offen seien sie, warmherzig, direkt, so, wie er es mag: „Wir schauspielern genug auf der Bühne, da muss ich mich privat nicht auch noch verstellen.“ Privat, da liest er viel, Gäste bewirtet er gern mit seiner zehn Jahre jüngeren Frau und dem Sohn. Und dann wird natürlich auch politisch diskutiert: „Als Künstler musst Du politisch aktiv sein, aber nicht parteipolitisch. Ich darf mich nicht unterordnen, wenn mir irgendetwas nicht passt."