Oberhausen. . Seit drei Jahren erinnert die Stadt mit “Stolpersteinen“ an Oberhausener, die während der Nazi-Zeit verfolgt wurden. Auch an Thomas Tabaschowsky erinnert ein solcher Stein. Der Gewerkschafter und Sozialdemokrat verbrachte zwei Jahre im Zuchthaus.
Und dann fiel er vor ihr auf die Knie, dieser starke und aufrechte Mann, den Gerda Tabaschowsky Vater nannte. Anflehen wollte er sie, nicht zu fliehen vor Hitlers Schergen, die ihn selbst zwei Jahre lang in der Gefängniszelle gefoltert hatten. „Mein Vater wurde verfolgt, weil er in der SPD war“, erinnert sich Gerda Tabaschowsky. Er habe für die Politik gelebt, „aber auch für seine Familie. Er wollte nicht, dass ich weggehe.“ Ausgesprochen hat das Thomas Tabaschowsky nicht. Schweigend, auf dem Bahnsteig kniend sah er zu, wie seine Tochter in den Zug nach Amsterdam stieg. „Es ging nicht anders.“
Im Sommer 1937 war das, „so lange her“, flüstert Gerda Tabaschowsky. Die heute 91-Jährige hakt sich bei ihrem Sohn ein, sie sei ein bisschen schwach auf den Beinen, entschuldigt sich die Seniorin. An der Mathildestraße stehen die beiden, ihre Blicke auf die schimmernde Stelle im Bürgersteig gerichtet, an der Minuten zuvor eine Messingtafel zwischen die Pflastersteine gesetzt worden war. Seit drei Jahren erinnert unsere Stadt mit diesen „Stolpersteinen“ an Oberhausener, die in der Nazi-Zeit verfolgt wurden. Tabaschowsky war einer von ihnen.
Gewerkschafter und Sozialdemokrat
Er trat der SPD bei, da kannte man noch keine Weltkriege. Geboren 1886 im schlesischen Kattowitz, ging er 1913 mit seiner Frau und seinem Sohn, Gerdas Bruder Rudolf, nach Oberhausen. Hier konnte er arbeiten, als Maurer und auf der Zeche Osterfeld. Vor allem aber war Tabaschowsky Gewerkschafter und Sozialdemokrat, hatte noch am letzten 1. Mai vor Hitlers Machtergreifung lautstark gegen die NSDAP demonstriert. Auch nach dem Verbot der SPD 1933 und der Flucht des Partei-Vorstands aus Nazi-Deutschland blieb Tabaschowsky seinen Grundsätzen treu. Mit einer Gruppe Sozialdemokraten schloss er sich zusammen, in der Brotfabrik „Germania“ in Duisburg vervielfältigten sie Schriften der Prager Exil-SPD.
„Zu Hause haben wir offen darüber gesprochen, ich war stolz auf meinen Vater“, erinnert sich Gerda Tabaschowsky. Doch der Widerstand ging mit Repressionen für die Familie einher: Seine Arbeit hatte der Vater verloren, finanziell ging es den Tabaschowskys nicht gut. Trotzdem gaben sie ab: Lebensmittel an die Juden, die sich bei Nachbarn versteckten, und an Mittellose, denen die Frührente verweigert wurde. „Mein Vater war ein guter Mann, die Nachbarn mochten ihn“, so Gerda Tabaschowsky. Bei ihnen versteckte sich die Familie oft, schlief im Schweinestall, bis jemand sie weckte: „Mantel und Schuhe an“, hieß es dann, „sie kommen“.
Lehre als Hausmädchen
Gekommen ist die Gestapo im August 1935, mit den übrigen Widerständlern aus der Brotfabrik wurde Tabaschowsky verhaftet. Damals ging Gerda Tabaschowsky erstmals nach Amsterdam, um eine Lehre als Hausmädchen zu machen. Der Vater gab der 16-Jährigen im Gefängnis das Einverständnis. „Wenn ich wieder zu Haus bin, kommst du auch wieder“, bat er sie noch. 1937 kam Tabaschowsky frei und Gerda zurück, blieb aber nicht lange: „Niemand wollte meinem Vater Arbeit geben, da bin ich zurück nach Amsterdam, um Geld zu verdienen.“
Wenige Briefe erreichten sie in Kriegszeiten, 1943 kam einer, in dem schrieb ihre Mutter, dass der Vater wegen Hochverrats zum Tode verurteilt worden war. „Ich weiß noch, ich dachte, da am Bahnhof, das war das letzte Mal, dass du ihn gesehen hast.“
Für zwölf Jahre ins Zuchthaus
Erst später erfuhr Gerda Tabaschowsky, dass ihr Vater statt der Todesstrafe für zwölf Jahre ins Zuchthaus sollte. Zwei davon blieb er im hessischen Butzbach, dann kamen die Alliierten und das Ende von Hitler. Doch die Haft hatte ihren Vater gezeichnet. Nie wieder habe er körperlich arbeiten können.
Gerda blieb in Amsterdam. 1956 kam sie zurück, um ihren Vater am Sterbebett ein letztes Lebewohl zu sagen. „Er hat so viel Gutes getan, jetzt weiß jeder, dass es ihn gab“, sagt sie mit Blick auf die Messingplatte im Bürgersteig. Auch ihr ist ein Gedenkstein gewidmet. Darüber freue sie sich, „wichtig ist aber der meines Vaters. Den hat er verdient.“
43 Seiten des Erinnerns
Die Geschichte der Familie Tabaschowsky haben Abiturienten eines Geschichtskurses am Bertha-von-Suttner-Gymnasium recherchiert, Hilfe gab’s von der Gedenkhalle. 43 Seiten haben die Jugendlichen aus Gestapo-Akten und Dokumenten zusammengeschrieben, ihre Mitschüler haben zwei weitere Schicksalen erforscht. Die Patenschaft für je einen der Tabaschowsky-Steine hat die SPD-Fraktion und ihre stellvertretende Vorsitzende Anne Janßen übernommen. Für 18 weitere „Stolpersteine“ engagierten sich die Christuskirche, Bürger sowie der Verein Kickenberg.
Ins Leben gerufen hat diese Form der Gedenktafeln 1997 der Kölner Künstler Gunter Demning. Inzwischen findet man seine Stolpersteine in rund 500 Orten Deutschlands sowie in Österreich, Ungarn und den Niederlanden. In Oberhausen wurden seit 2008 über 90 Steine verlegt.