Oberhausen. . Die Gestapo verhaftet seine Mutter, der Vater muss untertauchen: Karl-Heinz Overkemping hat ein Buch über seine Kindheit veröffentlicht.

Es war ein stiller Morgen. Keine Menschenseele auf der Straße. Nur das „verdammt ungute Gefühl“ des Vaters und die zittrige Hand der Mutter, die beinahe eine Tasse hätte fallen lassen. Plötzlich Motorengeräusche. „Mimi, sie kommen.“

Den 18. September 1944 kann Karl-Heinz Overkemping nicht vergessen. Erst vier Jahre war der gebürtige Bottroper alt, trotzdem kann er sich noch genau an den Tag erinnern, an dem die Gestapo ihm und seinen drei Geschwistern die Mutter genommen hat. Sie war Halbjüdin, wurde ins Frauenlager Elben gebracht. Der körperbehinderte Vater, ein hartnäckiger Pazifist, legte sich öffentlich mit den Schergen Hitlers an und musste untertauchen. Seine Kinder sollten zu Verwandten, kamen aber in ein Bielefelder Nazi-Kinderheim. „In wenigen Tagen ist so viel passiert, das mein Leben für immer verändert hat“, erinnert sich der 70-jährige Overkemping heute. Jahrelang hat er darüber geschwiegen, nichts erzählt von den Repressalien des Regimes, dem Schweigen der Nachbarn, seinen Schlägereien mit Mitschülern, weil diese seinen Vater als „Hinkebein“ und seine Mutter als „Judenweib“ beschimpft hatten. „Irgendwann musste das raus, dann habe ich angefangen, meine Erlebnisse aufzuschreiben.“

Acht Jahre hat Overkemping die Geschichte seiner Kindheit recherchiert, zwei Jahre an dem Manuskript gearbeitet, das nun unter dem Titel „Ein starkes Stück (über) Leben“ erschienen ist. Darin beschreibt der 70-Jährige detailliert und bewegend die letzten Kriegsjahre und die spätere Zusammenführung der Familie, tritt mit seinen Eltern in einen Dialog, der nie geführt worden war: Denn als Overkemping 14 Jahre alt war, verstarb sein Vater, seine Mutter erlag einem Krebsleiden, da war er 22.

Damals arbeitete Overkemping bereits für die Gutehoffnungshütte (GHH). Mit 14 hatte er auf der Zeche angefangen, ließ sich zum Maschinenbauschlosser ausbilden, machte anschließend einen kaufmännischen Lehrgang und heiratete. 55 Jahre arbeitete er für die GHH, im Ruhestand widmet sich Overkemping nun der Malerei – und dem Schreiben. Hinterlassenschaften, auch an seinen 37-jährigen Sohn:. „Ich habe mein Buch auch für ihn geschrieben. Vielleicht erklärt es, warum ich manchmal so bin, wie ich bin.“ Aufbrausend, wann immer er das Gefühl hat, ihm werde Unrecht getan. „Seit mein Sohn mein Buch gelesen hat, ist er sehr still geworden. Er versteht.“

Stiller ist auch Overkemping selbst geworden: Seit seinem 28. Lebensjahr stand er für den Sängerbund-GHH auf der Bühne, zum letzten Mal im November: Der 70-Jährige leidet an Trigeminusneuralgie, einer schweren und seltenen Erkrankung der Gesichtsnerven. Schockartig treten seine Schmerzen auf, auf einer Skala von null bis zehn erreichen sie fast immer die höchste Stufe. Den ersten Anfall hatte der Senior vor Jahren im Centro, keiner konnte helfen, niemand verstehen, warum er plötzlich mit Schmerz verzerrtem Gesicht am Boden lag, tagelang nicht sprechen und erst recht nicht singen konnte. Seitdem sucht Overkemping mit Fachleuten nach Therapien und Erkenntnissen über die Krankheit. Darüber will er nun ein neues Buch schreiben. „Gefangen im Schmerz“ soll es heißen, „ein Lehrbuch“.

Weitere Informationen

Erschienen ist Karl-Heinz Overkempings Buch „Ein starkes Stück (über Leben) beim Heimdall Verlag (ISBN 978-3-939935-50-6, 18.95 Euro, 392 Seiten). Bestellen kann man es auch unter www.künstler-overkemping.de. Auf dieser Internetseite stellt der 70-Jährige nicht nur Geschriebenes, sondern auch seine Malerei vor. Overkempings Vater war Schneider, mit ihm hat er erstmals gezeichnet - ein Hobby, das er im Ruhestand wieder aufgenommen hat.