Oberhausen. . In Klimakisten reisen die Hauptdarsteller der neuen Ausstellung “Artefakt und Naturwunder“ in der Ludwig Galerie an: 22 Lüsterweibchen sind ab 6. Februar zu sehen. Auf den Ehrengast - die Dürer-Zeichnung eines Lüsterweibchens - wird noch gewartet.
In einer weißen Box haben sie gewartet: Die klugen Augen einer Frau, deren hölzerne Miene in die Ferne blickt. Eine Kette trägt die geschnitzte Büste um den Hals, neckisch steckt ein Teil des Schmucks unter dem Kleiderkragen. Auf dem Geweih eines erlegten Hirsches sitzt die hölzerne Frau, zwei schmiedeeiserne Kerzenhalter stecken daran: Leuchterweibchen oder auch Lüsterweibchen (Lüster sind Kronleuchter) nennt man diese Kunstform deshalb. Die Ludwig Galerie widmet ihnen eine seltene Einraumschau.
„Artefakt und Naturwunder“ heißt die Ausstellung, die vom 6. Februar bis zum 17. April zu sehen ist. Die Idee dazu hatten Dr. Dagmar Preising und der Restaurator Michael Rief vom Aachener Suermondt-Ludwig-Museum, mit dem unsere Galerie kooperiert. Vor rund zehn Jahren bekamen die Aachener vom Künstlerpaar Ludwig das Lüsterweibchen mit den klugen Augen, seitdem haben sie nach anderen Leuchtern gesucht: Nur 203 konnten sie weltweit finden.
Wand in der Galerie herausgenommen
22 dieser Stücke kommen nun in unserer Stadt zusammen, elf davon als dreidimensionale Skulpturen, die übrigen sind Zeichnungen. In weißen bis zu 150 Kilogramm schweren Klimaboxen werden sie angeliefert. Manche sind so breit, dass sie nicht einmal durch die Eingangstür passen, weshalb in der Galerie kurzzeitig eine Wand herausgenommen werden muss. Die Kisten sind nahezu luftdicht verschlossen, mit Holz und Dämmmaterial so gepolstert, dass sich die Holzkörper 24 Stunden lang an die rund 55 prozentige Luftfeuchtigkeit im Museum gewöhnen können. „Sonst könnte sich die Büsten verziehen, wie das bei Schranktüren aus Holz passiert“, erklärt Kuratorin Dr. Christine Vogt.
Bei Möbeln kein Problem, bei den Büsten eine Katastrophe: Unbezahlbar seien die Stücke der Schau, jedes ein Original, so Vogt. Auf dem Tisch vor ihr liegt bereits das älteste bekannte Lüsterweibchen. Die Kamera eines Fernsehteams leuchtete auf das glatte Puppengesicht aus Eichenholz, das eingerahmt in die Rüschen einer mittelalterlichen Kruseler-Haube auf dem Geweih eines Rothirsches sitzt. 1398 soll sie gefertigt worden sein, Jahrhunderte lang leuchteten die sechs Kerzenhalter in der Marienkirche in Lemgo, bis es 1926 ins dortige Heimatmuseum kam. Und nun in die Schlossgalerie.
Auf einen Ehrengast wartet unsere Stadt allerdings noch: Albrecht Dürers Zeichnung eines Lüsterweibchens aus dem Jahr 1513. In der Galerie wird sie erstmals seit zwei Jahrzehnten wieder mit einem Drachenleuchter vereint, der Dürers Entwurf nachempfunden wurde.
Hintergrund: Entdeckung der Lüsterweibchen als Kunstform
Lange gehörten sie nur zum Mobiliar: Leuchterweibchen haben sich wahrscheinlich aus der Wappenkunde entwickelt. Das hat Dr. Dagmar Preising vom Suermondt-Ludwig-Museum in einem umfassenden Essay festgehalten, der Teil des Katalogs für die kommende Ausstellung sein wird. Preising erklärt darin, dass Hirsche, noch häufiger aber Geweihe als Wappenfiguren zu finden sind. Über solchen Wappen thront in der Regel ein Helm, der wiederum nicht selten von einem Frauenrumpf geziert wird. Aus diesem Bild hat sich das Lüsterweibchen entwickelt, eine aus Holz geschnitzte Frauenbüste, die auf ein Hirschgeweih geschraubt wurde und meist ein Wappen hält.
Lüsterweibchen gibt es seit dem Ende des 14. Jahrhundert, sie fanden besonders in Süddeutschland großen Anklang. Mitte des 19. Jahrhunderts kamen die Geweihleuchter erneut in Mode, vor allem in Kirchen, Rathäusern und gutbürgerlichen Wohnungen. Die Kunstgeschichte hat sich bisher kaum mit den Lüsterweibchen befasst. Im Ausstellungskatalog sind deshalb erstmals Kunstform, Herkunft und Technik umfassend beschrieben. Dr. Vogt: „Das wird ein Standardwerk.“