Oberhausen. .

Bis zu fünf Jahre Haft: Wie Innenminister de Maizière diese Woche ankündigte, soll das denjenigen drohen, die andere unter Zwang verheiraten. Auch Frauen aus Oberhausen sind schon zwangsverheiratet worden – und leiden noch heute darunter.

Da stand sie, im Brautkleid. Der ganze Saal voller Leute. Die Gesellschaft lachte, tanzte, war fröhlich. Nur für Arzu (Name von der Redaktion geändert) brach eine Welt zusammen. Für die damals 17-Jährige war es der schlimmste Tag ihres Lebens. Sie wurde von ihrer Familie aus Deutschland in die Türkei zwangsverheiratet.

Fünf Jahre ist das her. Es fällt der hübschen Türkin immer noch schwer, sich an den Tag zu erinnern. Den Cousin ihres Vaters hatten die engsten Verwandten für sie ausgesucht. Ein paar Mal hatten sie sich auf Familienfeiern gesehen, ansonsten wusste sie nichts über den zwölf Jahre älteren Mann. Eine Heirat aus Liebe – undenkbar. „Er hat mich fast vergewaltigt“, erzählt sie stockend.

Jeder Tag ist eine Vergewaltigung

„Für diese Frauen ist jeder Tag eine Vergewaltigung. Ein traumatisches Erlebnis“, weiß Suna Tanis-Huxohl. Die Pädagogin arbeitet im Frauenhaus Oberhausen. Dort, wo Arzu jetzt lebt. Über Arzus Lippe funkelt ein Brilli-Piercing. Es ist das einzige, was an ihrem Gesicht strahlt. Die dunklen Augen blicken traurig. Aus der Türkei floh sie. Nur wenige Wochen hielt sie es bei dem Mann aus. Die Ehe wurde aufgelöst. Die Jugendliche stand auf eigenen Beinen, machte in Deutschland eine Ausbildung. Doch als die Familie erfuhr, dass Arzu einen Freund hat, suchten sie ihr einen neuen Mann. „Ich war bei einer Freundin, als sie anriefen. Dann kamen sie zu mir in die Wohnung, traten die Möbel ein und drohten mir.“ Von einer Bekannten erfuhr die verängstigte Türkin vom Frauenhaus. Sie ließ alles zurück. Freunde, ihre Lehrstelle. Die zweite Flucht.

„Mittlerweile kommen zu uns 50 Prozent deutsche Frauen und 50 Prozent haben Migrationshintergrund. Alle haben Gewalt erfahren“, berichtet Suna Tanis-Huxohl. Einige seien Import-Bräute, wurden zwangsverheiratet, geschlagen. Da die Frauenhaus-Mitarbeiterin selbst türkische Wurzeln hat und die Sprache beherrscht, komme sie besser an die muslimischen Mädchen heran. „In der Muttersprache werden Emotionen deutlicher.“ Es sei positiv, dass sich mehr Frauen mit Migrationshintergrund hier Hilfe suchen.

Finanziert vom Land

Acht Zimmer gibt es, 16 Plätze. Meist sind alle belegt. Finanziert wird das Haus zum Teil vom Land. Die Frauen müssen jedoch 33 Euro pro Tag zahlen. Bringen sie Kinder mit, summiert sich der Tagessatz. Springe das Amt nicht ein, sei Hilfe sehr schwierig. Bis zu einem halben Jahr bleiben die Frauen. Die meisten suchen sich eine eigene Wohnung. Es gibt aber auch solche, die zur Familie zurückkehren. Arzu hat sich für die eigenen vier Wände entschieden. Bald zieht sie aus und will sich eine Lehrstelle suchen. Kontakt zur Familie gibt’s nicht mehr. „Die machen mein Leben kaputt. Die sind so rückständig.“ Es klingt fast kämpferisch. Ob sie jemals verliebt war? „Ja, in meinen Ex-Freund.“ Ob sie jemals noch mal einem Mann vertrauen kann? Momentan schwer vorstellbar für sie.

Zwei Jahre in Istanbul

„Sie haben aber einen schweren türkischen Namen“, sagen die Leute oft zu Suna Tanis-Huxohl — dabei ist der zweite Name angeheiratet und ziemlich deutsch.

Die 32-Jährige ist in Mülheim aufgewachsen, zog als 18-Jährige für zwei Jahre nach Istanbul und kehrte wieder nach Deutschland zurück. „Es war komisch. Ich sprach zwar ganz gut Türkisch, aber trotzdem ist den Leuten aufgefallen, dass ich noch nicht lange dort bin“, erinnert sie sich. Etwa, weil sie „fettes“ statt „dickes“ Buch sagte. In Istanbul hat sie genossen, dass bis spät in die Nacht noch etwas auf den Straßen los war — und doch ein bisschen die deutschen Regeln vermisst. Nachdem sie ihr türkisches Abitur gemacht hatte, kehrte sie zurück und holte das Deutsche nach. Der Abschluss wurde nicht komplett anerkannt. Später studierte sie Pädagogik und schrieb ihre Abschlussarbeit über Frauenhäuser.

„Die türkischen Frauen, die in den 70er Jahren herkamen, waren keinesfalls nur Opfer oder Anhängsel ihrer Männer. Viele kamen erst alleine, die Männer kamen später nach“, sagt Suna Tanis-Huxohl. Ihre Mutter – „sie hatte eindeutig zu Hause das Sagen“ – reiste als Erste ein, um in einer Fabrik zu arbeiten.

Bei der aktuellen Integrationsdebatte warnt die Mutter einer Tochter davor, alle Türken über einen Kamm zu scheren. „Man muss sich immer überlegen, wer damals gekommen ist. Die meisten kamen vom Dorf und haben ihre Traditionen mitgebracht. Auch in deutschen Dörfern geht’s heute manchmal noch streng zu.“ Als Städterin habe sie weder in Mülheim noch in Istanbul ein Problem. Und als Frau eines Deutschen kann sie auch privat so manche Erfahrung beisteuern. „Ich bin akzeptiert worden. Aber meine Schwiegereltern hatten damals Probleme, weil ein Katholik eine Protestantin heiraten wollte.“