Oberhausen. Eine seltene Krankheit veränderte Sabrina Schusters Leben. Jetzt ermöglicht ihr ein Assistenzhund die Rückkehr in ein (fast) normales Leben.
Diese Geschichte berührte die Menschen in Oberhausen sehr: 2019 hatten wir erstmals über Sabrina Schuster berichtet. Die Oberhausenerin war 26 Jahre alt, als eine seltene Krankheit ihren Alltag zerstörte: Die junge Mutter brach hinter der Verkaufstheke zusammen, auf dem Weg zur Mülltonne und auch, als sie hinter dem Herd stand, um für ihre Familie zu kochen. Bis dahin hatte sie ein normales Leben geführt.
Doch plötzlich benötigte sie für jeden Weg eine Begleitung. Um ihre damals achtjährige Tochter zu entlasten, erkundigte sie sich nach einem Assistenzhund. Da ihre Krankenkasse die Kostenübernahme für die Ausbildung des Tieres verweigerte, rief auch diese Redaktion zu einer großen Spendenaktion auf. Mit Erfolg. Inzwischen zog Labradoodle Leo bei Sabrina Schuster ein – und stellt das Leben der heute 36-Jährigen gewaltig auf den Kopf.
Bis zu 20 Mal am Tag in Ohnmacht gefallen
Zum Hintergrund: Zunächst hatte sich kein Arzt die Anfälle erklären können. Bis zu 20 davon hatte sie am Tag. „Erst hieß es, ich hätte Epilepsie, also eine spezielle neurologische Erkrankung“, hatte sie bei unserem ersten Treffen erzählt. In einem Epilepsie-Zentrum in Bielefeld stellten Experten schließlich die richtige Diagnose: dissoziative psychogene Anfälle.
Aufregung, Reizüberflutung (allein durch einen vorbeifahrenden Krankenwagen mit Sirene), Überforderung – und ihr Gehirn legt den Körper lahm. Heute weiß sie: „Andere Menschen schwitzen, wenn sie sich anstrengen, erschrecken oder aufgeregt sind, ich werde ohnmächtig.“ Manchmal ist sie nur Sekunden weg, manchmal Minuten. Weshalb, kann niemand erklären.
Erster Assistenzhund war mit der Krankheit überfordert
Tochter Annemarie (12) hatte früher stets ein Notfallset dabei und ein Handy, um die Großeltern oder die Tante alarmieren zu können. „Das war eine furchtbare Belastung“, weiß Sabrina Schuster. Ein Assistenzhund schien ihr die Lösung zu sein. 20.000 Euro an Spendengeldern kamen zusammen, gerade genug, um die aufwendige Ausbildung zu finanzieren.
Doch der erste Assistenzhund, Labradorhündin „Franka“, scheiterte. „Statt mir zu helfen, lief Franka weg, sie war mit meiner Krankheit überfordert.“ Ulrich Zander vom WZ Hundezentrum hatte den Einzug des Vierbeiners begleitet und rasch die Reißleine gezogen. „Ich war tieftraurig.“ Zander machte ihr dennoch Mut: „Wir finden noch den richtigen!“ Es dauerte zwar eine ganze Weile, doch er sollte recht behalten. Bezahlen musste Sabrina Schuster natürlich nur für die Ausbildung des zweiten Hundes.
Hund Leo schleckt Sabrina Schuster bei Ohnmachtsanfällen durchs Gesicht
Im Mai 2023 fegte Labradoodle Leo dann erstmals durch ihre Wohnungstür in Osterfeld. Leo verstand schnell: Kippt Sabrina Schuster unvermittelt um, schleckt er ihr einmal durchs Gesicht. Dieser Kältereiz hilft meist, den Ohnmachtsanfall zu unterbrechen. Damit das im Notfall klappt, musste Leo in seinem neuen Zuhause aber erst noch einen Intensivkurs absolvieren. Ulrich Zander riet Sabrina Schuster, sich Leberwurst ins Gesicht zu schmieren und Vorfälle wie die echten immer wieder zu trainieren. „Leo hatte mich irgendwann fast zum Fressen gern, sobald ich hinfiel.“
Wacht sie im Ernstfall nach der Schleckerei doch nicht sofort wieder auf, legt sich Leo sofort auf ihr Bein oder ihren Arm und schützt ihren Körper – auch vor unerwünschten Helfern. Allzu häufig war die Oberhausenerin mit dem Verdacht auf Epilepsie in der Vergangenheit mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht und mit Medikamenten vollgepumpt worden, „die ich überhaupt nicht benötige“. Hin und wieder war sie sogar bestohlen worden: „Bei Busfahrten, wenn ich plötzlich weggesackt war.“
Vorfälle wie diese, verhindert Leo jetzt. „Er macht das richtig gut“, sagt Sabrina Schuster dankbar. Deshalb wagt sie sich nach und nach nun wieder aus ihrem Schneckenhaus. „Früher ging es mir vor allem darum, dass meine Tochter endlich ein normales Kind sein darf.“ Doch auch sie selbst sei furchtbar einsam gewesen, räumt die alleinerziehende Mutter ein. Natürlich, ihre Familie sei immer für sie da gewesen. „Ich weiß gar nicht, wie ich das jemals wieder gutmachen soll.“
Ohnmachts-Patientin: Hund Leo ist meine Rettung
Ein selbstständiger Alltag sei aber eben lange Zeit unmöglich gewesen. „Es musste immer jemand auf mich aufpassen.“ Einer Arbeit wird die gelernte Bäckerei-Fachverkäuferin zwar nie wieder nachgehen können, auch ein Auto wird sie nie steuern dürfen. Doch alles andere erobert sie sich Schritt für Schritt zurück. Sie fährt wieder häufiger mit dem Bus und war mit der Bahn gerade erst bei Freunden in Berlin. „Am Monatsende besuche ich Freunde in Hamburg.“ Das Leben hat sie wieder. Dank Leo. „Er ist meine Rettung.“
Ist sie mit dem Labradoodle unterwegs, fühlt sie sich sicher. Trotz der Anfeindungen, die ihr wegen ihres Hundes allerdings auch manchmal entgegenschlagen. „Wenn ich in ein Lebensmittelgeschäft gehe zum Beispiel.“ Während die Verkäufer und Verkäuferinnen sich stets schnell von ihr aufklären ließen, habe sie von so manchem Kunden schon bissige Kommentare einstecken müssen, weil sie ihren Hund mit in den Laden nimmt. „Das Gleiche gilt für Busfahrten, bei denen ich den Behindertensitz nutzen wollte.“ Die Aggression, die ihr da hin und wieder entgegenschlage, schockiere sie sehr. „Alle reden davon, wie sehr sie eine vielfältige Gesellschaft schätzen, doch sobald jemand – aus welchem Grund auch immer – nicht der Norm entspricht, stößt man auf Ablehnung und Vorurteile.“
Sabrina Schuster wünscht sich mehr Gelassenheit im Umgang miteinander. „Leben und leben lassen!“ Und sie hofft auf weniger digitale Hürden für schwerbehinderte Menschen wie sie: „Meine Begleitung kann Bus und Bahn kostenfrei nutzen, will ich mir aber online über die Deutsche Bahn App ein Ticket bestellen, gibt es kein Feld, in das ich meinen Assistenzhund eintragen könnte, das sollte schnellstmöglich geändert werden.“ Bis es soweit ist, muss sie für jede Fahrkarte erst einmal zu einem Reisecenter.