Oberhausen. Für die Robinie in der Halle des Vereins für aktuelle Kunst ist es schon die zweite Ausstellung – und die Pionierpflanze wächst im Eiltempo.

Haben Pflanzen Kunstverstand? Die kommunikativen Fähigkeiten der Bäume hat ja schon der Förster und Bestseller-Autor Peter Wohlleben enthusiastisch betont. Aber dass ein draußen bereits gefällter Baum entschlossen unter dem Mauerwerk „durch taucht“ und ins Innere einer Ausstellungshalle vordringt – das gibt’s wohl nur in Oberhausen.

Dr. Wilfried Darlath, dem Vizevorsitzenden des Vereins für aktuelle Kunst (VfaKR), hat die junge Robinie mit ihrem entschlossenen Vordringen bereits Respekt abgerungen. Schließlich weiß er: Der Stamm, der unmittelbar vor einem der hinteren Fenster der historischen Klempnerei im Zentrum Altenberg wuchs, ist längst gefällt. Wer drinnen über das satte Grün inmitten aktueller (aber nur selten grüner) Kunst gestaunt hat und sich dann draußen im Fabrikhof umsieht, der entdeckt noch den Stumpf, aus dem ein zarter Trieb emporragt. Das Wurzelwerk unmittelbar an der Hallenmauer wurde nämlich (noch) nicht ausgegraben.

Die Robinie hat sich im September bereits sichtlich auf dem Hallenboden ausgebreitet.
Die Robinie hat sich im September bereits sichtlich auf dem Hallenboden ausgebreitet. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Und so nutzte die Robinie ihre Chance, zur Kunst vorzudringen. Schließlich gibt’s im Gebäude-Ensemble, das seit 1853 von den belgischen Industriellen der Zinkspezialisten „Vieille Montagne“ im gerade erst entstehenden Oberhausen errichtet wurde, keine hinderlichen Betonfundamente. Und die eigentlich in den Appalachen heimische Robinie – also in jenem über 2400 Kilometer langen Gebirgszug, der vom US-Südstaat Georgia bis zum kanadischen Neufundland reicht – ist eine zähe Pionierpflanze.

Europas älteste Robinie überstand Weltkriegs-Bomben

Im Kapitel „Ausbreitungsstrategie“ referiert der als „exzellent“ mit grünem Sternchen versehene Wikipedia-Artikel Erstaunliches über den auch schnöde als Scheinakazie bekannten Baum: Die Samen bleiben bis zu 30 Jahre lang keimfähig. Die Robinie vermehrt sich zudem vegetativ durch Wurzelschösslinge – wie beim VfaKR zu bewundern. Diese auch als „klonales Wachstum“ bezeichnete Verbreitung kommt in der natürlichen Umgebung nach Bränden oder Rodungen zum Zuge: Die Robinie reagiert darauf mit einer verstärkten Ausbildung von „Wurzelbrut“, so die Botaniker.

Übrigens hat sie auch ihren klangvoll-französischen Namen von einem hochrangigen Pflanzenkundler: Jean Robin, der Hofgärtner des französischen Königs Ludwig XIII., ließ vor 422 Jahren die Vorfahren der europäischen Robinien aus Virginia nach Paris verschiffen. In der „Stadt des Lichts“ stehen sie immer noch: Als Älteste gilt eine Robinie nahe Notre-Dame mit einem Stammumfang von 3,90 Meter. Sie wurde im Ersten Weltkrieg durch Bomben beschädigt und wird seitdem von drei Betonpfeilern gestützt – blüht aber immer noch.

Kunst- und Pflanzenfreund: Dr. Wilfried Darlath, Kölner und Vizevorsitzender des Vereins für aktuelle Kunst im Zentrum Altenberg.
Kunst- und Pflanzenfreund: Dr. Wilfried Darlath, Kölner und Vizevorsitzender des Vereins für aktuelle Kunst im Zentrum Altenberg. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Man ahnt’s wohl längst: Da haben sich die Verehrer der strengen bis verspielten Farbfeldmalerei ja auf ‘was eingelassen. In der Schweiz steht die triebhafte Robinie sogar auf einer „Schwarzen Liste“ – nämlich dem Index der gebietsfremden invasiven Pflanzen: Ihre Ausbreitung könnte zur Gefahr für die heimische Botanik werden.

Perfektes Überraschungsmoment für Ausstellungsflaneure

Wird Oberhausens Kunsthallen-Robinie womöglich zur Gefahr für die beeindruckende Hallen-Konstruktion der alten Klempnerei, die schließlich in einigen Jahren mit „Brückenschlag“-Förderung zu einer auch wintertauglichen Mehrzweckhalle aufgewertet werden soll? Im Juni war Dr. Darlath, inmitten der großen deutsch-polnischen Ausstellung „seines“ Vereins für aktuelle Kunst, noch gelassen der Meinung, man sollte diesen wackeren Eindringling erstmal wachsen lassen. Schließlich hatte sich die US-Pflanze mit einem gewissen Kunstsinn unter das vorletzte Fenster drapiert: als perfektes Überraschungsmoment für Ausstellungsflaneure.

Und ihre Gäste überraschen die VfaKR-Aktiven immer wieder gerne – sogar mit einem grünen Überlebenskünstler.

Schauplatz für sehenswerte Ausstellungen

Sehenswert ist nicht allein die Natur in der Halle für aktuelle Kunst – sondern vor allem die Kunst selbst, aktuell mit Collagen, Malerei und experimenteller Fotografie (ein ausführlicher Bericht folgt).

Der Verein für aktuelle Kunst im Zentrum Altenberg, Hansastraße 20, öffnet seine Ausstellungen freitags von 15 bis 17 Uhr, samstags von 14 bis 17 Uhr und sonntags von 11 bis 14 Uhr; Eintritt frei. Online informiert vfakr.de.