Oberhausen. Die Zahl der kriminellen, strafunmündigen Kinder steigt. Eine Oberhausener Behörde sendet deshalb einen eindringlichen Hilferuf an die Politik.
- In ganz NRW ist die Zahl an Kindern und Jugendlichen, die kriminell geworden sind, gestiegen.
- Ein wichtiges Projekt des Landes sollte so schnell wie möglich eingreifen, damit vor allem Kinder nicht weiter auf die kriminelle Bahn geraten.
- Doch nun stellt sich bei der zuständigen Behörde, dem relativ neuen „Haus des Jugendrechts“, in Oberhausen heraus: Angesichts der steigenden Fallzahlen gibt es viel zu wenig Fachkräfte, die sich um die Kinder kümmern können.
Der Fall sorgte überregional für Furore: Im Herbst 2022 ging eine kriminelle Band auf Verwüstungstour in Oberhausener Schulen. Wie sich nach den erfolgreichen Ermittlungen herausstellte, waren es größtenteils Kinder. Sie können juristisch nicht belangt werden. Rechtsexperten nennen das Kinder-Delinquenz.
Wenn Kinder mehrmals in Konflikt mit dem Gesetz gelangen, werden sie in Oberhausen ein Fall für das „Haus des Jugendrechts“. Die Behörde wurde vor zwei Jahren in der Nähe des Hauptbahnhofs eingerichtet und soll für schnelle Hilfe und Prophylaxe sorgen. Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichtshilfe sitzen unter einem Dach. Das spart Wege und wichtige Zeit, um einer kriminellen Karriere vorzubeugen.
Doch die Behörde sieht sich an ihrem Limit. Nach dem zweiten vollen Arbeitsjahr seit Eröffnung fällt das Haus des Jugendrechts in ihrem Jahresbericht ein vernichtendes Urteil: Die Fallzahlen steigen, gleichzeitig fehlen die notwendigen personellen Fachkräfte. Der Bericht, der am 23. August 2023 im Jugendhilfeausschuss vorgelegt wird, schließt mit einer düsteren Prognose: „Man muss inzwischen in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass die Kombination aus gestiegenen Anforderungen und fehlenden personellen Ressourcen geeignet ist, das Modell ,Haus des Jugendrechts’ in Oberhausen zum Scheitern zu bringen.“
Kinderkriminalität: 31 neue Fälle im Jahr 2022
Anfang des Jahres veröffentlichte das NRW-Innenministerium die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik. Landesweit stieg die Zahl der Kinder- und Jugendlichen, die sich nicht an die gesetzlichen Regeln halten. Alarmierend: Bei den insgesamt 500.000 Tatverdächtigen in NRW war jeder Fünfte unter 21 Jahre alt.
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Dieser Trend spiegelt sich nach Ansicht der Oberhausener Behörde auch lokal wider. Während die Zahl der Intensivtäter konstant blieb, nahmen die Fälle in der „besonderen Bearbeitungsform“ rasant zu. Hier landen alle Kinder und Jugendlichen unter 21 Jahren, die in den vergangenen zwölf Monaten drei oder mehr Straftaten vor dem Aufnahmezeitpunkt begangen haben. Binnen eineinhalb Jahren wuchs die Fallzahl von 123 auf 161 (Juli 2022) – ein Plus von 31 Prozent.
Betrachtet man aus dieser Gruppe nur die strafunmündigen Kinder, landeten allein im Jahre 2022 exakt 31 strafunmündige Kinder mehr im Haus des Jugendrechts.
Die Gründe für den Anstieg würden vielschichtig diskutiert, heißt es in dem Bericht. In Betracht komme die Corona-Pandemie, aber auch die wirtschaftlich schlechtere Situation der Familien und die „strukturellen Defizite im Schul- und Kinderbetreuungssystem“. Gemeint ist der Fachkräftemangel.
Staatsanwaltschaft: Keinerlei Ressourcen mehr
Die personelle Ausstattung reicht angesichts der so stark anziehenden Fallzahlen nicht mehr aus. Auf der Seite der Jugendgerichtshilfe seien „wenigstens aktuell“ alle Stellen besetzt. Die Staatsanwaltschaft Duisburg sei hingegen nur mit zwei Staatsanwältinnen, Geschäftsstelle und Wachtmeisterei vertreten. „Aufgrund des dort dramatisch gestiegenen Fallaufkommens hat sich die Arbeitsbelastung im Laufe des Berichtsjahres so stark verdichtet, dass schon die normale Fallbearbeitung faktisch nicht mehr zu leisten ist und für die erforderlichen Sonderaufgaben und Besprechungssysteme im Haus des Jugendrechts keinerlei Ressourcen mehr zur Verfügung stehen.“ Auch die Polizei leidet nach Darstellung des Jahresberichts unter Personalmangel. Nur fünf der sechs Stellen seien aktuell besetzt.
Der Bericht schließt mit einer Forderung. Um die Jugendkriminalität von morgen zu bekämpfen, müssten jetzt massive Anstrengungen unternommen werden. Denn gerade die Arbeit mit Kindern bedeute einen extrem hohen Aufwand. Doch dafür müsste ausreichend Personal vorhanden sein. „Diese personellen Ressourcen müssen jetzt durch die Polizei und die Staatsanwaltschaftzwingend zur Verfügung gestellt werden.“