Oberhausen. Wer eine Herzattacke erlebt, hat nur geringe Überlebenschancen – wenn kein Mensch eingreift und reanimiert. Ein Oberhausener hatte viel Glück.

Sascha Karbow hat kaum noch Erinnerungen an jene Nacht im September, in der sein Herz streikte. Er weiß nur noch, dass er unruhig war, das Bett verließ und sich im Wohnzimmer vor den Fernseher setzte. Irgendwie müssen seine Frau und sein Sohn etwas bemerkt haben, was genau, weiß er nicht. „Die beiden sprechen nicht gerne darüber“, sagt er. Sie finden ihn bewusstlos vor und der 18-Jährige beginnt gleich mit der Reanimation. „Wenn mein Sohn nicht gewesen wäre, würde ich heute nicht mehr leben“, sagt der selbstständige Maler- und Lackierermeister.

Karbow ist glimpflich davongekommen. Denn die Sterbequote nach einer Herzattacke ist erheblich: Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums erleiden jedes Jahr mehr als 60.000 Menschen in Deutschland einen Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb eines Krankenhauses – nur magere elf Prozent der Betroffenen überleben solch einen Notfall.

Um diese erschreckend niedrige Zahl zu erhöhen, bündeln Kliniken ihre Kräfte und lassen sich zu sogenannten Cardiac Arrest Centern zertifizieren. So auch das Evangelische Krankenhaus Oberhausen (EKO). Im Gespräch betonen Dr. Florin Laubenthal, Chefarzt der Kardiologie, und sein Leitender Oberarzt Dr. Muhammad Yousef, dass eine Maßnahme nach wie vor die wichtigste bleibt: das beherzte Eingreifen vor Ort, sprich: die Wiederbelebung.

„Volles Programm“ nach Herzinfarkt: Erst Reanimation, dann Defibrillator

Dr. Muhammad Yousef, Leitender Oberarzt der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin des Evangelischen Krankenhauses (EKO)
Dr. Muhammad Yousef, Leitender Oberarzt der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin des Evangelischen Krankenhauses (EKO) © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Herzinfarkt mit Kammerflimmern lautet Sascha Karbows Diagnose später. Als der Notarzt eintrifft, muss auch noch der Defibrillator zum Einsatz kommen. „Volles Programm“, sagt Muhammad Yousef über seinen Patienten. Er habe großes Glück im Unglück gehabt. Denn es sei völlig normal, dass man einen Blackout hat, wenn da plötzlich ein Angehöriger liegt, doch der junge Mann habe sich getraut, seinem Vater zu helfen. Sascha Karbow ist sehr froh darüber – nicht nur, weil er überlebt hat: „Was wäre gewesen, wenn es nicht geklappt hätte. Wie wäre er damit klargekommen?“

Noch im Haus der Familie, das sich ganz in der Nähe des EKO befindet, startet das Programm des Cardiac Arrest Centers, der Spezialeinheit für Herz-Kreislauf-Stillstand. Der Notarzt übermittelt das EKG elektronisch ans Krankenhaus, so dass erste Vorbereitungen im Schockraum oder im Kardiologischen Labor vorbereitet werden können.

Bei Sascha Karbow muss ein verschlossenes Gefäß geöffnet werden, dann geht es auf die Intensivstation. „Dort wurde er für 24 Stunden auf 34 Grad heruntergekühlt“, erklärt Dr. Florin Laubenthal das Vorgehen in solchen Fällen, um Patientinnen und Patienten vor Schäden zu schützen, die durch die Reanimation verursacht wurden.

Herz-Kreislauf-Stillstand: Nach fünf Minuten trägt das Hirn Schäden davon

Fünf Minuten nach Eintreten eines Herz-Kreislauf-Stillstands entstehen Schäden am Hirn, die nicht rückgängig gemacht werden können, erklären die Mediziner. Fünf bis zehn Minuten dauere es, bis der Rettungsdienst eintrifft. „Da ist die Oberhausener Feuerwehr sehr gut aufgestellt“, lobt Dr. Laubenthal. Weil es jedoch um jede Minute, ja Sekunde geht, sei es wichtig, dass man schnell reanimiert wird. Inzwischen werde man hierfür auch von der Leitstelle am Telefon angeleitet.

Doppelte Überlebensrate

Laut Deutschem Rat für Wiederbelebung ist der plötzliche Herz-Kreislauf-Stillstand die dritthäufigste Todesursache in den Industrieländern.

Neben einer erfolgreich durchgeführten Reanimation ist für die Überlebenschancen der Betroffenen eine Weiterbehandlung in einer spezialisierten Klinik wesentlich. Ein Cardiac Arrest Center (CAC) ist ein zertifiziertes Krankenhaus, das auf die Weiterbehandlung solcher Patientinnen und Patienten spezialisiert ist. Mit CAC wird eine Verdopplung der Überlebenschance erwartet.

Seit 2019 werden Kliniken zum CAC zertifiziert. Inzwischen sind es über 100 Krankenhäuser in 14 von 16 Bundesländern.

Sascha Karbows Sohn hatte gerade den Führerschein gemacht und vielleicht deshalb noch genau im Kopf, wie es funktioniert. Egal, ob man an der falschen Stelle drückt, zu schnell oder zu langsam: „Nichts zu machen ist das Schlimmste, was man tun kann“, sagt Dr. Florin Laubenthal.

EKO-Chefarzt Dr. Florin Laubenthal (Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin)
EKO-Chefarzt Dr. Florin Laubenthal (Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin) © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Was noch zu den Merkmalen eines Cardiac Arrest Centers gehört: die personelle Ausstattung (viele Disziplinen arbeiten eng miteinander), die Materialien, die 365 Tage im Jahr vorgehalten werden (Echogerät, Bronchoskop, Beatmungsgerät und mehr), die Schulung aller beteiligten Ärzte und des Pflegepersonals und eine enge Zusammenarbeit mit der Feuerwehr.

Mehrmals im Jahr setze man sich zusammen und spreche darüber, wie Patientinnen und Patienten optimal versorgt werden können. Selbstverständlich habe es auch vor der Zertifizierung alles Notwendige für Herzinfarkt-Patienten gegeben, versichert Chefarzt Laubenthal. „Aber jetzt sind alle Maßnahmen standardisiert. Jeder muss sich genau daran halten. Und dadurch ist jetzt gesichert, dass wir immer auf höchstem Niveau arbeiten. Es gibt jetzt immer nur A-Qualität.“

Sascha Karbow nimmt es leicht, dass er jetzt an einer chronischen Herzerkrankung leidet. Er muss zwar regelmäßig zur Kontrolle und Medikamente nehmen, doch er will sich deshalb nicht verrückt machen. „So geht es nicht jedem nach einem solchen Erlebnis“, sagt Dr. Laubenthal. „Manche versinken auch in Depressionen.“

Karbow ist dafür nicht der Typ. Er mache sich jetzt aber schon Gedanken über seinen Lebenswandel, sagt der 47-Jährige: Mehrere Liter Cola am Tag – das gehöre der Vergangenheit an, und die Süßigkeiten verkneife er sich jetzt auch manchmal. „Als ich aus dem Krankenhaus raus war, habe ich mir sofort ein Fahrrad gekauft und bin losgefahren.“ Er scheint auf einem guten Weg zu sein.

Glück im Unglück: Patient Sascha Karbow (rechts) wurde nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand erfolgreich im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen (EKO) behandelt. Chefarzt Dr. Florin Laubenthal (l.) und Oberarzt Dr. Muhammad Yousef leiten hier das neue Cardiac Arrest Center.
Glück im Unglück: Patient Sascha Karbow (rechts) wurde nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand erfolgreich im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen (EKO) behandelt. Chefarzt Dr. Florin Laubenthal (l.) und Oberarzt Dr. Muhammad Yousef leiten hier das neue Cardiac Arrest Center. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn