Oberhausen. Oleksiy Radynski aus Kiew erhält die höchstdotierte Auszeichnung der 69. Kurzfilmtage. Silke Schönfelds Film über familiäre Gewalt berührt tief.
Mit einem erwartbaren Hauptpreisträger zum Schluss des Preisverleihungs-Reigens endeten am Maifeiertag die 69. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen in der Lichtburg. Verliehen wurden in vier Wettbewerben 20 Preise und zahlreiche lobende Erwähnungen. Insgesamt vergaben die Kurzfilmtage über 43.000 Euro an Preisgeldern.
Die höchstdotierte Auszeichnung, der mit 8000 Euro versehene Große Preis der Stadt Oberhausen, verliehen im Internationalen Wettbewerb, ging an den ukrainischen Regisseur Oleksiy Radynski für seinen 20-minütigen Film „Chornobyl 22“. Der international bereits mehrfach ausgezeichnete Filmemacher aus Kiew mischt heimliche Handyaufnahmen von der russischen Eroberung des Gebiets um Tschernobyl mit Aussagen von Anwohnern und Angestellten des Kraftwerks, die sich fragen, ob die russischen Soldaten überhaupt wussten, dass sie eine „Todeszone“ besetzen. „Die ehrlichen und offenen Interviews machen den Film zu einem wichtigen Werk für die Gegenwart, aber auch für künftige Generationen,“ urteilt die Internationale Jury, darunter auch die deutsch-rumänische Vorjahrespreisträgerin Alexandra Gulea.
Die „Hauptpreis“ genannte, mit 4000 Euro dotierte Auszeichnung des Internationalen Wettbewerbs geht an die kubanische Filmemacherin Gretel Marin Palacio für „Camino de lava“. Ihr fast halbstündiges Porträt der queeren Aktivistin und Mutter Afibola wertet die Jury als „Botschaft der Stärke aus feministischer Perspektive“.
Feuer und Flamme für den aztekischen Gott des Lichts
Nach Lateinamerika geht auch der Förderpreis des Internationalen Wettbewerbs, zugleich der zweite Preis des NRW-Kulturministeriums (insgesamt dotiert mit 4500 Euro). Die Viertelstunde von „Xiuhtecuhtli“ des mexikanischen Kollektivs „Los Ingravidos“ lässt die Jury quasi bedröhnt zurück: Sie raunt von der „hypnotischen Verschränkung von Ton- und Bildrhythmus“ in dem nach dem aztekischen Gott des Feuers und des Lichts benannten Werk und von „Film als kollektiver, ritueller Flash“.
Kino, das knallt – allerdings auf ganz andere Art – prämiert auch der erste Preis des NRW-Kulturministeriums: 5000 Euro erhält die Londoner Transkünstlerin namens Sweatmother. Die acht Minuten von „Untitled“ präsentieren das Zwiegespräch mit einem digitalen „Avatar stereotyper Weiblichkeit“, so die Jury, die einen kurzen Film auszeichnet, „der mit minimalistischen Mitteln die Fragen nach Identität maximal öffnet“.
Im Deutschen Wettbewerb geht der mit 5000 Euro dotierte Hauptpreis an Gernot Wieland für „Turtleneck Phantasies“, in dem der Filmemacher historische Berichte und persönliche Erinnerungen zu einer tragikomischen Diagnose des Zustands unserer Gesellschaft kombiniert. Die Jury beeindruckte ein „leichter Witz, der stets nah an der Melancholie angesiedelt ist“.
Als Kamerateam filmte „das Volk des Iran“
Bedrängend aktuell statt humorvoll sind die mit dem 3sat-Nachwuchspreis im Deutschen Wettbewerb und mit 2.500 Euro prämierten achteinhalb Minuten von „Sensitive Content“. Die in München ausgebildete Filmemacherin Narges Kalhor nutzt das Logo des durchgestrichenen Auges, um in ihrer Collage von Handybildern während des Aufstands der Frauen im Iran die mörderischen Gewaltakte des Regimes „augenfällig“ zu machen. Als Kamerateam nennt sie im Abspann „das Volk des Iran“.
Gewalt und provinzielles westdeutsches Idyll führt die Preisträgerin des NRW-Wettbewerbs in der Viertelstunde von „Ich darf sie immer alles fragen“ eindringlich zusammen: Silke Schönfeld erzählt von ihrer Mutter, der als Kind vom Großvater der Filmemacherin immer wieder sexuelle Gewalt angetan wurde. Zum Symbol für die nach einem halben Jahrhundert überwundenen Taten wird das Fällen jenes Kirschbaums, den einst der Vater/Großvater gepflanzt hatte. „Der Garten ist vom Koloss befreit“, sagt die Mutter, die mit ihrer Tochter nach Oberhausen gekommen war, um den Schlussakt ihrer eigenen „Befreiung und Bewältigung“ im großen Kinosaal zu sehen. Die Jury würdigt „die feinsinnige und kluge filmische Aufarbeitung“.
Von der kreativen Auflehnung gegen ein Klima der Gewalt erzählt auch der kolumbianische Kurzfilm „Außer wir tanzen“ von Hanz Rippe Gabriele und Fernanda Pineda Palencia, ausgezeichnet mit dem Preis der Jugendjury und 1000 Euro. Die Großstadt Quibdó, umgeben von Regenwäldern und Reservaten indigener Kolumbianer, leidet an der Gewalt der Drogenkartelle. „Musik und Tanz“, so die jungen Juroren vom Bertha-von-Suttner-Gymnasium, „geben den Jugendlichen eine Perspektive“.
Die Kinderjury hätte am liebsten mitgespielt
Als großes Abenteuer in nur 19 Minuten erlebte die Kinderjury der Adolf-Feld-Schule „L’Avenir“ von Santiago Ráfales. Der 26-jährige Regisseur aus dem nordspanischen Saragossa erzählt von einem Tag im Leben der beiden zehnjährigen Biel und Sara. Ihre gleichaltrigen Juroren: „Die beiden spielen Spiele, bei denen wir gerne mitmachen würden“ – bis die Freundschaft auf die Probe gestellt wird. Und wie stets bei den Kurzfilmtagen war die Freude bei den Autorinnen und Autoren der Kinder- und Jugendfilme – selbst wenn es „nur“ lobende Erwähnungen waren – besonders herzlich.