Oberhausen. Tobias Thimm ist Oberhausens Schäfer. Als Wölfe 37 Muttertiere töten, denkt er ans Aufhören. Wir haben den 37-Jährigen vor Ort besucht.

Wer sich der Weide in Oberhausen-Holten nähert, hört die Schafe, bevor sie zu sehen sind. Rund 220 Tiere laufen hier über die Wiese, rupfen Essbares vom Boden oder liegen im Stall. Viele muntere Schafe und Ziegen – zumindest auf den ersten Blick. Denn der Schreck stecke ihnen noch in den Gliedern, sagt Schäfer Tobias Thimm.

Seine Herde war Ende Februar 2023 von Wölfen angegriffen worden. 37 Muttertiere sind tot, 13 Lämmer wurden totgeboren. Für Thimm und seine Tiere ein Alptraum. Erst Anfang 2022 hat er die Ruhrschäferei – nun heißt sie „Schäferei Oberhausen“ – übernommen und musste nach nur einem Jahr einen so herben Rückschlag erleiden. Durch den Wolfsangriff hat der 37-Jährige ein Fünftel seiner Herde verloren. Und womöglich kommen noch weitere Totgeburten hinzu. „Ich habe lange überlegt, ob ich aufhöre“, sagt der Oberhausener.

Würden die Wölfe noch mal angreifen, müsste Thimm den Betrieb schließen

Er habe viel mit den Schafen und Ziegen arbeiten müssen. „Sie standen unter Schock. Es war kein normaler Alltag möglich.“ Die Tiere springen auf, wenn Hunde kommen. Sie haben Angst. Auch Thimm bewegt sich in Gegenwart seiner Tiere ruhiger und langsamer als vor dem Angriff. In der Region, wo es passiert ist, will der Schäfer keine Aufträge mehr annehmen. Zu groß ist die Sorge, dass sich das Blutbad wiederholt. „Sollte der Wolf noch mal angreifen, können wir zumachen.“ Die finanziellen Folgen könnte der Jungunternehmer nicht stemmen. „Da hängt die Existenz meiner Familie dran.“

Die Schafe futtern und wirken zufrieden. Durch den Wolfsangriff sind sie aber noch immer traumatisiert.
Die Schafe futtern und wirken zufrieden. Durch den Wolfsangriff sind sie aber noch immer traumatisiert. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Der 37-Jährige verbringt jeden Tag viel Zeit mit seinen Tieren. Als Schäfer hat er keinen klassischen Arbeitstag von acht Stunden. Morgens geht es los, wenn es hell wird. Also manchmal auch schon um 4 oder 5 Uhr. Zehn bis zwölf Stunden am Tag arbeitet Thimm. Im Sommer sogar bis zu 16 Stunden. „Schäferei geht nur mit Leidenschaft und Liebe zum Tier“, sagt der Quereinsteiger. Vor der Schäferei war Thimm als Sachverständiger im Bauwesen tätig. Aber er hatte einen Traum: Er wollte gerne mit Rindern arbeiten. Dann ergab sich aber durch Zufall die Schäferei. „Und Schafe sind auch wunderschön.“

Tobias Thimms Herde ist „bunt“

Diese Saison sind schon gut 60 Lämmer geboren – mehr als 40 Schafe und über zehn Ziegen. 150 Schafe bekommen noch Nachwuchs. Die letzten Schafskinder erwartet Thimm Ende April. Sogar nachts kümmert er sich um seine Tiere. Aktuell zieht er zum Beispiel mehr als zehn Lämmer mit der Flasche auf, weil es den Müttern nach dem Wolfsangriff zu schlecht geht. Und die Kleinen haben auch nachts Hunger. Alle vier Stunden gibt es das Fläschchen.

Auch Ziegen gehören zu Tobias Thimms Herde. Zum Beispiel diese hier. Thimm hat sie mit der Flasche aufgezogen, daher ist sie sehr zutraulich.
Auch Ziegen gehören zu Tobias Thimms Herde. Zum Beispiel diese hier. Thimm hat sie mit der Flasche aufgezogen, daher ist sie sehr zutraulich. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Da verwundert es auch nicht, dass der Oberhausener angibt, seine Herde sehr gut zu kennen. „Ich weiß genau, ob ein Tier fehlt. Ich fühle das, sehe das, ich kann es gar nicht beschreiben.“ Die Tiere haben markante Gesichter, findet Thimm. „Ich habe eine bunte Herde.“ Sieben Rassen leben unter seiner Obhut, darunter Landschafrassen wie die Weiße Gehörnte Heidschnucke und das Bentheimer Landschaf sowie Intensivrassen wie zum Beispiel Zwartbles- und Schwarzkopfschafe.

Thimms Schafe erfüllen zwei Funktionen: die Landschaftspflege und die Lebensmittelproduktion. Wolle ist nur ein Abfallprodukt, erklärt der Fachmann. Ein Schaf trägt ungefähr drei Kilo mit sich herum. Pro Kilo gibt es aber nur zehn Cent. Allein das Scheren kostet pro Tier schon fünf Euro. Ein Verlustgeschäft. Anders ist das bei dem Fleisch. Dass einige seiner Tiere geschlachtet werden, ist für Tobias Thimm nicht einfach. „Es fällt schwer, aber es ist mein Job. Ich verdiene mit der Fleischproduktion Geld.“

Die Schafe betreiben Landschaftsschutz

Generell sei es schwierig, als Schäfer sein Auskommen zu erwirtschaften, berichtet er. Viele halten die Schäferei eher für ein Hobby. Ihnen ist nicht bewusst, dass sie dafür zahlen müssen, wenn Thimm seine Schafe auf ihrem Grundstück weiden lässt. „Wir sind ein landwirtschaftlicher Dienstleister“, betont der Oberhausener. Natürlich verursachen seine Tiere ihm auch Kosten – zum Beispiel für Versicherungen oder ärztliche Behandlungen.

Schäfer Tobias Thimm ist Tag und Nacht für seine Tiere da. Dass er viel draußen arbeitet, gefällt dem 37-Jährigen.
Schäfer Tobias Thimm ist Tag und Nacht für seine Tiere da. Dass er viel draußen arbeitet, gefällt dem 37-Jährigen. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Zwei Lämmer werden geboren

Während unseres Besuchs bei Tobias Thimm kommen zwei Lämmer zur Welt. Der Schäfer merkt das sofort, obwohl die Mutter sich zurückgezogen hat und keinen Laut von sich gibt. „Bei einer Schafsgeburt geht es leise zu“, weiß der Fachmann. Es gehe schnell und die Schafe machten alles alleine.

Rund 155 Tage – also gut fünf Monate – sind die Tiere schwanger. Bei Thimm bekommen die Schafe einmal im Jahr Nachwuchs. Der kann schon zwei bis drei Stunden nach der Geburt laufen, sogar rennen, sagt der 37-Jährige.

Seine Herde betreibe Natur- und Landschaftsschutz, erklärt Thimm. „Es gibt keinen ökologischeren Rasenmäher als Schafe.“ Sie fressen Unkraut und Schädlinge, erhöhen als „Samentaxi“ die Biodiversität, indem sie Samen in ihrer Wolle von hier nach dort tragen – aber auch Insekten. Sie treten außerdem Hänge fest, etwa am Deich, trampeln Maulwurfshügel platt und Mauselöcher zu. Vom späten Frühjahr bis zum späten Winter sind Thimms Tiere draußen auf der Weide, auf Deichen und in Landschaftsschutzgebieten. Im Winter weiden sie auf landwirtschaftlichen Flächen. Im Stall sind die Schafe und Ziegen, wenn die Lämmer zur Welt kommen und klein sind.

Tobias Thimm genießt es, so viel draußen zu sein. „Ich finde die Arbeit sehr erfüllend“, sagt er. „Ich kann am Ende des Tages sehen, was ich erreicht habe. Und wenn es nur glückliche Schafe auf der Weide sind.“ Reich werde er mit seinem Job zwar nicht, aber das ist für Thimm nicht das Wichtigste. Auch wenn das platt klingt, sagt er: „Was bringt einem Reichtum, wenn man nicht glücklich ist?“