Oberhausen. Vor dem Oberhausener Amtsgericht ist am Freitag der schwere ÖPNV-Unfall vom Juni 2022 verhandelt worden. Angeklagt: ein Straßenbahnfahrer (34).
Die schwere Kollision einer Straßenbahn und eines Linienbusses am 9. Juni 2022 auf der ÖPNV-Trasse hat am Freitag das Amtsgericht Oberhausen beschäftigt: Der Straßenbahnfahrer (34) aus Mülheim ist zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zur Bewährung verurteilt worden – wegen Gefährdung des Bahnverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in 33 Fällen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der weitgehend geständige Mann an jenem Tag nach dem Anfahren an der Haltestelle Olga-Park den Haltebalken an der dortigen Lichtzeichenanlage übersehen hat und damit die heftige Kollision mit dem Bus der Linie SB 91 auslöste. Bei dem Unfall wurden 33 Menschen verletzt.
Rund zweieinhalb Stunden dauerte die Hauptverhandlung unter Vorsitz von Richter Alexander Conrad. Es waren emotional teils sehr bewegende Augenblicke im Saal 21 des Amtsgerichts. Mehrere Zeugen sagten aus, die den Unfall an jenem Tag zum Beispiel als ÖPNV-Passagiere miterlebten, darunter junge Frauen im Alter von 16 und 17 Jahren, die bei ihren Aussagen mit den Tränen kämpften.
„Ich stand im Bus und hielt mich in diesem Augenblick nicht fest“
„Ich stand im Linienbus und hielt mich in diesem Augenblick nicht fest“, berichtete eine junge Zeugin. Sie sei durch die Kollision heftig durch das Fahrzeug geschleudert worden, sei ohnmächtig geworden und dann irgendwann an ganz anderer Stelle aufgewacht. Eine weitere Zeugin erlitt Schnittverletzungen im Gesicht. Auch sie brach bei ihrer Aussage in Tränen aus.
Am schwersten verletzt wurde ein Mann (69), dem man die Aussage vor Gericht ersparte. Er wurde so heftig eingeklemmt, dass er seinen linken Arm dauerhaft nicht mehr nutzen kann. Ein Rettungshubschrauber brachte ihn am 9. Juni 2022 ins Krankenhaus. Kurzzeitig schwebte der Mann in Lebensgefahr.
Gleich zu Beginn der Verhandlung äußert sich der Angeklagte ausführlich zum tragischen Geschehen jenes Tages. Er habe kurz nach vier Uhr früh seinen Dienst angetreten, sei dann zunächst als Fahrer auf der Ruhrbahn-Straßenbahnlinie 104 im Einsatz gewesen. Nach einer Pause sei er zur Linie 112 gewechselt und von Mülheim-Stadtmitte in Richtung Oberhausen losgefahren. Wie es dazu kam, dass er das Haltesignal nach dem Anfahren an der Haltestelle Olga-Park übersah, konnte der Mann nicht erklären. Als er den Linienbus aus Richtung Werthfeldstraße auf die ÖPNV-Trasse auffahren sah, habe er sofort eine Gefahrenbremsung vollzogen. Doch das konnte den Zusammenprall nicht mehr verhindern. An dem Bus entstand ein Sachschaden von 30.000 Euro, an der Straßenbahn von 25.000 Euro.
Sachverständiger hat Unfallhergang im Detail rekonstruiert
Prellungen, Schnittwunden, Schock, Unfalltrauma, massive psychische Belastungen und als Folge psychologische Behandlungen und Gesprächstherapien – im Detail wurden vor Gericht die Verletzungen der Linienbus- und Straßenbahnpassagiere aufgezählt. Lob gab es für das schnelle Eintreffen und die kompetente Arbeit von Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften.
Auch ein Sachverständiger der Dekra kam ausführlich zu Wort, der den Unfallhergang akribisch rekonstruiert hat und belegen konnte, dass für die Straßenbahn zum Unfallzeitpunkt um 10.46 Uhr und 48 Sekunden ein Haltesignal angezeigt wurde. Bemerkenswert: Der Straßenbahnfahrer war an jenem Tag nach Angaben seines Verteidigers erst seit einer Woche im Besitz einer Fahrerlaubnis für Straßenbahnen.
Der Anwalt des Angeklagten trat in seinem Plädoyer für eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten zur Bewährung ein; die Staatsanwaltschaft forderte zwei Jahre zur Bewährung. Nach kurzer Beratung sprach Richter Alexander Conrad dann das Urteil: ein Jahr und sechs Monate mit zweijähriger Bewährungszeit.
Richter: „Am Ende tragen Sie die Verantwortung ein Leben lang“
„Am Ende tragen Sie die Verantwortung für diesen Unfall ein Leben lang“, sagte der Vorsitzende Richter. Der Angeklagte leide selbst heftig unter dem Unfall und würde das Geschehen jenes Tages am liebsten rückgängig machen. Das hätten seine Erklärungen vor Gericht glaubhaft vermittelt.
Der sichtlich mit seiner Fassung ringende 34-Jährige, der seinen Job verloren hat und vorerst arbeitsunfähig ist, hatte zuvor nur wenige letzte Worte als Angeklagter formulieren können, bevor er abbrach: „Es tut mir leid. . .“