Oberhausen. Das Niederrheinkolleg in Oberhausen schließt. Am Freitag wird zum letzten Mal unterrichtet. Schulleiterin Manfraß kritisiert die Landesregierung.

Längst herrscht kein „Leben“ mehr auf den Fluren des Niederrheinkollegs, doch heute, an diesem Freitag werden zum letzten Mal Studierende auf den Stühlen der Unterrichtsräume an der Wehrstraße Platz nehmen. Es sind nur noch zwölf verblieben, die nach den Osterferien ihre Abiturprüfungen machen. Ein schleichendes Ende einer 70-Jährigen Geschichte, die mit viel Stolz und Gemeinschaft begann.

Das Niederrheinkolleg war in den vergangenen Monaten vor allem ein politisches Thema. Zu Wahlkampfzeiten wurde die Schließung genutzt, um gegen die Landesregierung zu wettern. Die Entscheidung über das Niederrheinkolleg traf die viel kritisierte NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer. Die FDP-Politikerin war von 2017 bis 2022 im Amt.

Anruf informierte Leiterin über Schul-Aus

Die kommissarische Schulleiterin Kirsten Manfraß hatte sich seit Bekanntwerden der Schließung öffentlich zurückgehalten. Die Diskussionen wurden deshalb auf lokalpolitischer Ebene weitergeführt. Jetzt nutzte Manfraß einen Besuch von Kunststudenten, um öffentlich ihre Sicht darzustellen. Sie lässt kein gutes Haar am Schulministerium. „Bis heute gab es kein persönliches Gespräch“, sagte Manfraß am Mittwoch bei einer Rede. Am 1. Dezember 2021 habe sie einen Anruf bekommen, sie habe das Niederrheinkolleg aufzulösen. Danach gab es nur noch Mail-Kontakt.

Heinz Isselhorst war lange Lehrer am Niederrheinkolleg. Zusammen mit der kommissarischen Schulleiterin Kirsten Manfraß (rechts) berichtete er Kunststudenten aus Düsseldorf am Mittwoch von Vergangenheit und Gegenwart.
Heinz Isselhorst war lange Lehrer am Niederrheinkolleg. Zusammen mit der kommissarischen Schulleiterin Kirsten Manfraß (rechts) berichtete er Kunststudenten aus Düsseldorf am Mittwoch von Vergangenheit und Gegenwart. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Jedoch beruht für Manfraß die Entscheidung auf nachvollziehbaren Fakten. Seit 2017 habe die Schule die Mindestzahl von 240 Studierenden unterschritten. Auch die Erfolgsquote sprach gegen das Niederrheinkolleg. Lediglich zwanzig Prozent erzielten das Abitur. Der jetzige Jahrgang aus zwölf Studierenden ist der Rest von 59 Anwärtern. Als 2019 der Landesrechnungshof kam und die nicht vorhandene Wirtschaftlichkeit feststellte, „wurde eine Maschinerie in Gang gesetzt, die nicht mehr aufzuhalten war“.

Ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl in den Anfangszeiten

Und drittens sei ein Bildungsgang, das Abitur im Tag-Unterricht, zu wenig für den Erhalt gewesen. Für das Ausweiten des Programms auf weitere Bildungsgänge, etwa das Abendgymnasium, konnte sich das Kollegium nicht entschließen. „Das hätte bedeutet, dass die Lehrkräfte auch abends arbeiten müssten.“

Doch der Niedergang der Schule, ausgerechnet im 70. Jahr, geht über die Faktenebene hinaus. Die Kunststudenten aus Düsseldorf streiften am Mittwoch durch die Gänge, um sich für eine Arbeit inspirieren zu lassen: Wie könnten historische Gebäude weiterverwendet werden? Um den emotionalen Teil der Geschichte zu unterbreiten, lud Manfraß Heinz Isselhorst ein. Er war selbst Anfang der 60er Jahre Student am Niederrheinkolleg und später Lehrer. „Ich habe alle Schulleiter erlebt“, sagt Isselhorst.

Isselhorst saß in der Aula auf der Bühne. In dem großen Raum sind die Stimmen auch ohne Mikrofon klar zu verstehen. Der frühere Lehrer berichtete von den Anfängen, als sich die Schule mit 27 Studierenden aufmachte, einen zweiten Bildungsweg zu etablieren. Und von dem Gemeinschaftsgefühl, das die Schule durch ihren Campus mit den Wohnheimen entfachte. „Mindestens sechsmal im Jahr gab es Feste in der Aula“, sagte Isselhorst. Auf den Klassenfahrten habe man sich intensiv ausgetauscht, nach dem Unterricht auch mal bis tief in die Nacht „gefetzt“ über politische Themen. Der Campus sei ein Ort der Begegnung gewesen. „Man half sich gegenseitig.“

Niederrheinkolleg: Klientel veränderte sich – kein Konzept mehr

Dieser Verbund ließ mit der Zeit nach, das Klientel veränderte sich. „Die jungen Mütter, die heute das Abitur nachholen, sind froh, wenn die Glocke läutet und sie rechtzeitig zum Kindergarten kommen“, sagt Manfraß über die Gegenwart. Es habe Versuche gegeben, die Gemeinschaft wieder aufleben zu lassen – „Ohne Erfolg.“

Alle weiterbeschäftigt

Als die Entscheidung über die Schließung getroffen wurde, waren noch 19 Lehrkräfte am Niederrheinkolleg beschäftigt. Zuletzt unterrichteten acht Lehrerinnen und Lehrer an der Wehrstraße. Alle haben eine Weiterbeschäftigung gefunden.

Kirsten Manfraß wird ebenfalls eine neue Aufgabe erhalten. Bis zu den Sommerferien kümmert sie sich allerdings noch um die Auflösung des Kollegs.

Manfraß beklagt, dass nicht frühzeitig an Konzepten für den Erhalt des Kollegs gearbeitet wurde. Gesamtschulen und Gymnasien würden heute dasselbe Abiturangebot unterbreiten. Die Abschlussquote im ersten Bildungsweg nimmt rasant zu. Das Klientel für die Kollegs wird immer kleiner. „Ideen hätten wir gehabt, aber es hat niemand gefragt“, sagt Manfraß. Sie hätte sich vorstellen können, die Wohnheime für die Jugendhilfe bereitzustellen. Jugendliche hätten an diesem Standort Abschlüsse erwerben und in den Heimen betreut werden können.

Stadt prüft Ankauf der Immobilien

Die Verwaltung denkt darüber nach, die neue Gesamtschule am Niederrheinkolleg starten zu lassen. Denn der Bau an der Knappenstraße wird erst 2026 fertig. Manfraß hat Bedenken wegen der Umsetzbarkeit, die Klassenräume seien zu klein für 30 Schülerinnen und Schüler. Für die Wohnheime gibt es noch keine Ideen. Nach Aussage von Manfraß sind sie stark sanierungsbedürftig. Derzeit prüft die Stadt einen Ankauf des Standortes.

Für Kirsten Manfraß ist die Weiterverwendung der Immobilie nicht die einzige offene Frage. In einer Stellungnahme zur Schließung hatte das Kollegium sinngemäß dieses Fazit gezogen. „Wenn man diese Schulform schließt, gibt es die Menschen doch trotzdem noch. Wo gehen sie jetzt hin?“