Oberhausen. Apothekerinnen und Apotheker in Oberhausen schlagen Alarm: Mehr als 420 Medikamente sind nicht lieferbar – und es werden mehr. Ein Kollaps droht.

Nie war die Lage dramatischer: Oberhausener Apothekerinnen und Apotheker warnen vor einem Zusammenbruch der Medikamentenversorgung. Rund 420 dringend benötigte Arzneimittel sind mittlerweile nicht mehr lieferbar – und es werden immer mehr.

Der Oberhausener Gerhard Niemeyer hat bereits viele Wege hinter sich. Er hat fast sämtliche Apotheken in der Stadt aufgesucht, um an ein starkes Schmerzmittel für seine Frau zu kommen. „Vergeblich“, musste der 78-Jährige verzweifelt erkennen. Selbst ein Ersatzpräparat habe er nicht erhalten können. „Ich weiß nicht mehr, was ich jetzt noch machen soll.“

Lukas Heuking, Sprecher des Apothekerverbandes Nordrhein für Oberhausen, hört es täglich: „Die Not vieler Patientinnen und Patienten wächst.“ Fiebersäfte für Kinder seien noch immer Mangelware. Doch auch Antibiotika, Schmerz- und Rheumamittel und sogar Krebsmedikamente seien kaum noch lieferbar. „Richtig bedrohlich wird es für Diabetiker, denn Insulin ist ebenfalls knapp.“ Nicht nur die Mittel selbst, „sondern auch noch die Rohstoffe für Verpackungen wie etwa Flaschen und Spritzen“.

Preisregeln auf Dauer aussetzen

Auf der Internetseite des Bundesinstituts für Arzneimittel sind diese Fakten zu finden: Während Anfang November 2022 genau 277 Medikamente nicht lieferbar waren, sind es am 22. Februar 2023 bereits 423. „Hauptursache für die Zuspitzung der Lage ist eine seit Jahren völlig verkorkste Gesundheitspolitik, die auf möglichst billige Medikamente setzte“, meint Heuking. „Bundesgesundheitsminister Jens Spahn von der CDU hatte dieses Thema nicht angepackt und auf effektive Gegenmaßnahmen seines Nachfolgers Karl Lauterbach von der SPD warten wir bis jetzt vergeblich.“ Dabei laufe Lauterbach längst die Zeit davon.

Mit einer Änderung der Preisregeln für Kinderarzneimittel hatte der Bundesgesundheitsminister im Dezember 2022 angesichts ungewöhnlich vieler Atemwegsinfektionen zwar kurzfristig den schlimmsten Lieferengpässen entgegengewirkt. Bei einigen Arzneimitteln durfte danach zeitlich befristet der Festbetrag überschritten werden – und damit eben der Höchstbetrag, der von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird. Gleiches soll künftig bei einigen Medikamenten für Erwachsene gelten. Doch die dafür benötigten Entscheidungen zur Finanzierung sind noch nicht gefallen.

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„Über diese mageren Anreize aber können die meisten Hersteller doch nur lachen“, bringt Heuking die Befürchtung seiner Kolleginnen und Kollegen auf einen Nenner. Denn es gebe in der Welt ja nicht wirklich weniger Arzneimittel. „Verfügbare Produkte werden nur einfach nicht mehr nach Deutschland geschickt, weil wir seit Jahren zu wenig dafür bezahlen.“ Die Rohstoffkrise durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg habe die Situation nun verschärft.

Dramatische Folgen für Patientinnen und Patienten

Die spürbaren Folgen für die Apotheker vor Ort: „Unzählige, zeitraubende Beratungsgespräche mit verzweifelten Patienten.“ Die meisten müssten kurzerhand zurück zu ihren Ärzten geschickt werden. „Damit diese dann nach Ersatzpräparaten suchen, um neue Rezepte auszustellen – dann beginnt die Odyssee von vorne.“ Was selbst einen erfahrenen Apotheker wie Lukas Heuking schockiert: „Vor uns stehen Kunden, die frustriert aufgeben und gar nichts mehr einnehmen – darunter etliche, die Blutdrucksenker benötigen.“

Um das Problem kurzfristig zu lösen, müssten die Hersteller sofort unbefristet mehr Geld erhalten. Langfristig aber, da sind sich die Apothekerinnen und Apotheker der Region einig, helfe nur eine rasche Rückkehr der Produktion nach Europa.