Oberhausen. Knallbunt gerahmt entfalten auch zarte Original-Zeichnungen ganz neue Wirkung: Birgit Weyhe glänzt mit Beispielen eines vielfältigen Lebenswerks.

„Schwierig – diese kleinen Formate!“ Als Ausstellungspraktikerin weiß Christine Vogt nur zu gut, dass Originalzeichnungen für Comics nicht automatisch mit Hingucker-Qualitäten glänzen: Da muss man schon nahe ans Blatt herantreten, um sich den Feinheiten zu widmen. Umso nachdrücklicher beglückwünscht die Direktorin der Ludwiggalerie deshalb Darjush Davar zu seinem gestalterischen Coup: Der Kurator der Ausstellung „Ausgezeichnet!“ mit sämtlichen 2022er Max-und-Moritz-Preisträgerinnen rahmt die zarten Vorzeichnungen mit knalligen Vergrößerungen aus den gedruckten Bänden: Farbenpracht also statt puristischem Schwarz-Weiß.

So weist denn die überraschend auch mit weiteren Original-Requisiten bestückte Schau in der Panoramagalerie und im Kabinett – also links und rechts vom Museumsshop – einen ziemlich genialen Weg, wie sich auch künftige Ausstellungen der „neunten Kunst“ vollendet „comicmäßig“ gestalten lassen. Christine Vogt zählt selbst seit einigen Jahren zur Jury des Erlanger Comic-Salons, des führenden Branchentreffens für alle Kreateure deutschsprachiger Sprechblasen-Wunder, und ist schier überwältigt von der Fülle qualitätvoller Bände. „Das sind keine dünnen Heftchen mehr“ – heißt übersetzt: Die Jurorin erreichen im Schloss Oberhausen gewichtige Pakete vielversprechender Neuerscheinungen.

Vom Junkie zum späten Popstar: „Scatman John“ im Skizzenbuch von Debüt-Preisträger Jeff Chi.
Vom Junkie zum späten Popstar: „Scatman John“ im Skizzenbuch von Debüt-Preisträger Jeff Chi. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Sechs der acht im vorigen Sommer Prämierten sind übrigens Zeichnerinnen – und einer wollte die Direktorin der Ludwiggalerie schon den Preis „für ihr Lebenswerk“ zusprechen: Tatsächlich ist Birgit Weyhe (wieder mal) die „beste deutschsprachige Comic-Künstlerin“, so der eigentliche Titel der Auszeichnung. Wenige Beispiele genügen Kurator Darjush Davar, um die virtuose Spannweite ihrer Stile und Techniken deutlich zu machen. Ihr Band „Rude Girl“ erzählt von Priscilla Layne, einer afroamerikanische Germanistik-Professorin mit karibischen Wurzeln. „Lebenslinien“ versammelt kurze, biografische Comics für den Berliner Tagesspiegel.

Kinder-Comic oder Krankheitsgeschichte?

Die eigene Krankheitsgeschichte in einen Comic für Kinder zu übersetzen, wie es Josephine Mark in „Trip mit Tropf“ so souverän gelingt, kommentiert der Kurator mit „Hut ab“ – und demonstriert dabei gleich seinen zweiten Gestalter-Kniff: Die neben den Werken jeder Künstlerin hängenden Tafeln darf man nämlich von ihren Haken nehmen, denn auch die Rückseiten trumpfen mit Bildmacht auf. Für Christine Vogt ist der „Trip“, trotz der possierlich gezeichneten „Buddies“ Wolf und Hase, keineswegs nur ein Kinder-Comic: „Die Kategorien schwimmen.“

In die biografische Graphic Novel „Rude Girl“ über Priscilla Layne hat Birgit Weyhe sich selbst gezeichnet.
In die biografische Graphic Novel „Rude Girl“ über Priscilla Layne hat Birgit Weyhe sich selbst gezeichnet. © Ludwiggalerie | Birgit Weyhe

Anrührend erzählt auch Jeff Chi, einziger Zeichner zwischen zwei preisgekrönten Debütantinnen, von einem vergessenen Pop-Star: Scatman John (1942 bis 1999) gelang vor 30 Jahren mit dem munteren „Scatman (Ski-Ba-Bop-Ba-Dop-Bop)“ ein verblüffender Europop-Hit. Als Jazzmusiker konnte der stotternde John Larkin die wild wirbelnden Stakkato-Silben frei fließen lassen. Jeff Chi hat das Leben des einstigen Junkies und Alkoholikers nicht nur in bunte Panels gesetzt – sondern viele Details selbst recherchiert. „Man ist sehr ergriffen“, sagt Christine Vogt.

Ein Vögelchen, das guten Rat ins Ohr zwitschert

Einen „Max und Moritz“-Publikumspreis gibt’s auch – und der ging 2022 an einen einfühlsamen Kinder-Comic: In „Lisa und Lio“ erzählt Daniela Schreiter alias „Fuchskind“, selbst Autistin, von einem autistischen Mädchen, das sich an einer neuen Schule zurechtfinden muss. Ihr Freund ist ein gewitzter Alien-Fuchs der sich – „Puff“, „Huch“ – in ein Vögelchen verwandelt, das aus seinem Versteck im Lockenhaar des Mädchens guten Rat zwitschert.

Die ausgezeichnete Schau bietet also nicht nur eine Fülle an zeichnerischen Perspektiven. Sie erzählt auch ganz besondere Geschichten: an den Wänden natürlich nur in Ausschnitten. Doch man kann sich auch in die ausliegenden Bücher vertiefen – zumal zu den Preisträgern ein gewiefter Buchgestalter gehört: Als Kurator und Comic-Wissenschaftler erhielt Alexander Braun einen „Max-und-Moritz-Spezialpreis“. Wenige Schritte vom Dortmunder Hauptbahnhof ist aktuell seine Ausstellung zu 125 Jahren „Katzenjammer Kids“ noch bis zum 10. April im „Schauraum Comic + Cartoon“ zu bestaunen.

Vielfarbiger Bilderspaß bei freiem Eintritt

Die Ausstellung „Ausgezeichnet“, mit einem großohrigen „Scatman John“ als Emblem, ist bis zum 11. Juni im Kleinen Schloss der Ludwiggalerie zu sehen – bei freiem Eintritt.

Im Rahmenprogramm gibt Josephine Mark am Sonntag, 2. April, um 16 Uhr eine Lesung für Kinder und Erwachsene aus „Trip mit Tropf“. Birgit Weyhe liest am Sonntag, 14. Mai, um 15 Uhr aus „Rude Girl“.

Die erste Führung mit Kurator Darjush Davar startet bereits am Eröffnungssonntag, 5. Februar, um 16 Uhr, eine weitere am Sonntag, 12. März. Auch diese Angebote sind kostenfrei.