Oberhausen. Die Hungersnot in Afghanistan war das größte Thema 2022. Die Spender bleiben dem Friedensdorf treu, aber der Ukraine-Krieg erschwert die Arbeit.

Konflikte und Kriege halten die Welt in Atem – auch das Friedensdorf. Eigentlich ist die Oberhausener Organisation an Krisen gewöhnt, denn sie kämpft mit ihren Mitteln dagegen an. Das Jahr 2022 ragte allerdings heraus. In Afghanistan, wo die Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit den politischen Machtwechsel ausleuchten, werden Menschen und besonders Kinder von einer Hungersnot gequält. Zugleich liefen auch die Hilfen für Angola und Kambodscha weiter. Der Ukraine-Krieg schließlich hatte nicht nur zur Folge, dass das Friedensdorf Kinder aus dem beschossenen Land aufnahm, sondern auch mit den Auswirkungen leben muss. Sprecherin Claudia Peppmüller und Leiterin Birgit Stifter ziehen mit dieser Redaktion eine Jahresbilanz.

Spendenbereitschaft

Bei all den Krisen vielleicht das Gute zuerst: Die Spenderinnen und Spender bleiben dem Friedensdorf International trotz eigener finanzieller Sorgen treu. Im Jahr 2022 kamen rund fünf Millionen Euro zusammen. Das waren zehn Prozent oder 453.010 Euro mehr als im Jahr 2021. Dahinter stecken nicht nur große Firmen. „Die Klein- und Mittelständler tragen uns“, sagt Birgit Stifter. Und das trotz Energiekrise und Inflation. „Gerade ältere Menschen sagen uns: Wir haben schon Schlimmeres erlebt.“ Das Friedensdorf erreiche zudem eine breite Öffentlichkeit, glaubt Claudia Peppmüller. Auch Online: Im vergangenen Jahr gab es zwanzig Prozent mehr Spendeneinzahlungen im Internet. Die genauen Zahlen legt das Friedensdorf nach der Mitgliederversammlung Ende Mai 2023 vor.

Birgit Stifter, Leiterin der Hilfsorganisation Friedensdorf International, zieht die Jahresbilanz 2022.
Birgit Stifter, Leiterin der Hilfsorganisation Friedensdorf International, zieht die Jahresbilanz 2022. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Einen Rückgang bemerkt das Friedensdorf allerdings bei den Kleiderspenden. Während in der Pandemie sehr viel gespendet wurde, ebbt die Bereitschaft momentan ab. Oftmals werde nicht mehr tragbare Kleidung abgegeben. Stifter und Peppmüller betonen deshalb: Nur was man selbst noch anziehen würde, sollte man spenden. Die Kleidung sollte also in einem guten Zustand sein.

Ukraine-Krieg

Die Ukraine gehört nicht zum Tätigkeitsgebiet des Friedensdorfs. Doch als dort der Krieg ausbrach, stellte die gemeinnützige Organisation ihren Platz in Dinslaken an der Lanterstraße bereit. Zurzeit leben 26 Menschen aus der Ukraine im Friedensdorf, die in Oberhausen ankamen.

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Weitaus größer sind die Auswirkungen des Krieges auf die Hilfs-Arbeit. Die gestiegenen Lebensmittelpreise vergrößern die Not in den Projektländern Angola und Kambodscha. Das Friedensdorf hat selbst Schwierigkeiten, an die gewünschten Waren zu kommen. Lieferungen verzögern sich deshalb und sind schwerer zu kalkulieren. Zudem sind die Flugkosten in die Höhe geschnellt. „Vor Corona konnten wir unsere Transporte planen. Das funktioniert nicht mehr“, sagt Stifter. „Das ist für uns sehr mühselig.“ Wegen des Preisanstiegs in fast allen Bereichen müsse die Organisation klug haushalten.

Afghanistan

Die Helferinnen und Helfer des Friedensdorfes und der Partnerorganisation kämpfen mit katastrophalen Zuständen. Zwar sah die Weltöffentlichkeit hin, als die Taliban die Macht ergriffen. Doch gravierender ist momentan die Versorgungslage vor allem in ländlichen Gebieten. Heftige Regenfälle und bitterkalte Winter sorgten für großes Leid der Menschen. Bei den Reisen nach Afghanistan erleben die Friedensdorf-Helfer unterversorgte Kinder, denen nicht einmal medizinisch geholfen werden kann. „Die Kinder verhungern, bevor wir sie nach Deutschland bringen können“, sagt Stifter. Durch die Partnerorganisation Afghanischer Roter Halbmond wurden in Kabul und mehreren Provinzen Lebensmittelpakete und Decken verteilt. Im März und November konnte das Friedensdorf zum teil schwer verletzte Kinder nach Deutschland fliegen, um sie medizinisch zu versorgen. „Es fehlt an allem“, sagt Peppmüller.

Vor allem Kinder leiden in Afghanistan unter der katastrophalen Versorgungslage.
Vor allem Kinder leiden in Afghanistan unter der katastrophalen Versorgungslage. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban geriet international die Lage der Frauenrechte in den Fokus. Peppmüller und Stifter berichten, dass das Friedensdorf bei seiner Arbeit nicht beeinträchtigt wird. Auch würden die Taliban mit Frauen von Hilfsorganisationen zusammenarbeiten. „Wir erleben die Situation pauschal nicht so massiv, wie es in den Medien dargestellt wird“, sagt Stifter. Bei den Kindervorstellungen würden die Frauen weiterhin ganz offen über ihre Kinder berichten. „Wir schauen uns die Kinder an, nicht die politische Gesinnung der Eltern“, sagt Stifter.

Operationsraum

Seit Sommer 2021 hat das Friedensdorf einen eigenen OP. In dem medizinischen Fachraum können kleinere Eingriffe wie das Entfernen von Metallschienen durchgeführt werden. Im vergangenen Jahr wurde 67 Mal von ehrenamtlichen Ärzten und Anästhesisten operiert. Die Investitionskosten seien zwar hoch gewesen, so Stifter. „Aber langfristig hoffen wir, dadurch mehr Kinder versorgen zu können.“ Zudem würden in den Krankenhäusern Kapazitäten frei. Die Kooperation mit den umliegenden Krankenhäusern will das Friedensdorf verstärken. Denn noch gebe es Hemmungen, die Eingriffe außerhalb vorzunehmen.

Ausblick

Aus Kostengründen muss das Friedensdorf den Versand von Bürgerpaketen einstellen. Die Flugpreise seien dafür zu hoch, sagt Stifter. Allerdings soll es dafür andere Spendenmöglichkeiten geben. Trotz der finanziellen Zusatz-Belastungen ist das Friedensdorf optimistisch ins Jahr gestartet: „Wir können Stand jetzt auch in diesem Jahr effektiv helfen“, sagt Stifter.

Claudia Peppmüller, Friedensdorf-Sprecherin.
Claudia Peppmüller, Friedensdorf-Sprecherin. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Im Februar ist ein weiterer Charterflug nach Afghanistan geplant. „Wir wollen, dass die Menschen Afghanistan nicht vergessen“, sagt Peppmüller. Auch den anderen Projektländern Angola, Armenien, Gambia, Irak, Kambodscha, Kirgistan, Tadschikistan, Uganda und Usbekistan wolle man treu bleiben. In diesen Ländern werden Möglichkeiten geprüft, um eine medizinische Grundversorgung aufzubauen.