Oberhausen. Victoria Kern gilt bestes Double von Helene Fischer. Bei der Fete der Alstadener Bären in Oberhausen erzählt sie aus einer Schlager-Parallelwelt.
Ihre Hände liegen auf der Heizungsplatte. Höchste Stufe. „Sie wird nicht warm“, sagt Victoria Kern in einem kleinen Garderobenraum der Luise-Albertz-Halle in Oberhausen.
Während sich die Rostockerin auf ihre wundersame Verwandlung vorbereitet, schwappen Klangfetzen von „Kölschen Jongs“, dumpfer Bass und abgehacktes Jauchzen in den Backstage-Bereich. Die Einheizerin weiß, wenn sie gleich als Helene Fischer auf die Bühne der Karnevalssitzung der Alstadener Bären tritt, erwartet sie ein Hexenkessel. Ohne jede Frostgefahr.
„Als ich zarte 23 war, habe ich als Double angefangen. Vorher in meiner jetzigen Heimatstadt Rostock viel Musik gemacht“, sagt die heute 33-Jährige. Sie ist fünf Jahre jünger als der Megastar, ihre Stimme ist etwas weicher. Aber wenn man die Augen schließt, Betonungen vergleicht, geht sie als Helene durch: locker. Auch wenn die gelernte Logopädin sagt: „Das ist Zufall. Auf der Bühne bin ich keine Schauspielerin.“
Helene Fischer: Seit Atemlos steigt die Nachfrage nach Double-Terminen
Die Alstadener Bären sind für ihre Feierfestigkeit bekannt. 730 Narren schunkeln seit Stunden. Genau, die richtige Wildbahn für einprägsame Schlagerhits. Die Hölle morgen früh, ist ihnen egal. Während die Original-Sängerin (wohl 16 Millionen verkaufte Tonträger) für Vereinsfeten unerreichbar und unbezahlbar ist, im Mai höchstpersönlich fünf Konzerte in der Arena Oberhausen spielt, haben Mikro-Double Hochkonjunktur.
Bis zu zehn Helene-Doppelgängerinnen habe es in Deutschland zwischenzeitlich gegeben, erzählt Victoria Kern, während ihr die fertig gestylten, blonden Haare ins Gesicht fallen. Durch die Pandemie seien wenige geblieben. Sie galt schon vorher als meist gebuchte Fischer-Interpretin. Deren Mega-Song „Atemlos“ bringt die Rostockerin 2015 selbst außer Puste. „Plötzlich hatte ich 250 Auftritte.“ Im Schnitt seien es 150 im Jahr.
Früh lässt sie ihren gelernten Beruf als Logopädin ruhen, arbeitet professionell als Double. Die junge Frau lebt aus dem Koffer. Wohnt in Hotels. Fährt zu kleinen Schützenpartys und großen Oktoberfesten. Sie singt bei einem Benefizspiel von Rapper Marteria und Ex-Fußballer Stefan Beinlich im Rostocker Ostseestadion plötzlich vor 27.000 Fans. (Was übrigens besser ankam als bei der echten Helene beim DFB-Pokalfinale 2017). Oder sie muss überraschend bei einer Großparty in den Niederlanden vor 11.000 Menschen knapp 20 Minuten Programm beisteuern.
Wie kommt die Schülerin vom Musikgymnasium zum Schlager-Star? Durch Zufall! 2012 stellt ihr ein Bekannter, zugleich Radiomoderator, privat einen Musikagenten vor. Der sagt geradeheraus: „Du solltest Helene-Fischer-Double werden!“ Sie kennt vom damals gerade erst aufsteigenden Star nur wenige Songs. Zögert. Aber ihre Mutter und Oma sind glühende Fans der ersten Stunde. Victoria singt vor.
Helene Fischer: Veranstalter wollte Double schon vom Hubschrauber abseilen
Die Rostockerin geht zu den Fischer-Konzerten, bewundert die Ausstrahlung der Musikerin. Hört Mamas CDs. Und prägt sich Abläufe ein. Zugleich sagt sie: „Gestik, Aussprache - das meiste lerne ich glücklicherweise automatisch.“ Sie trägt vier maßgeschneiderte Outfits im Helene-Style.
Was Helene Fischer von ihr hält, kann sie nicht sagen. Getroffen haben sich Helene und Helene-Victoria nie. Victoria Kern weiß nur, dass das Management des Stars von ihr weiß und sie duldet. Zusätzliche Lizenzen benötigt sie als Double nicht. Sie funktioniert wie eine Cover-Künstlerin. Nur neue Versionen der Songs unter dem eigenen Namen gehen nicht.
Wird sie verwechselt? „Kinder rufen manchmal Helene. Das schmunzel ich weg“, sagt sie mit einem Lächeln. Hinter der Kulisse legt sie die Hülle des Megastars ab. „Ich möchte ich bleiben.“ Die Klatschpresse lässt sie links liegen. Helenes Haare hat sie dagegen immer im Blick. „Da gehe ich mit!“ Zuletzt hat das Showbiz-Double ihre Haare um 15 Zentimeter gekürzt. So wie die echte Helene. Kamera, Schnitt!
Nein, Decken-Akrobatik mit dem Cirque du Soleil sind bei ihr nicht möglich. Trotzdem haben Veranstalter schräge Ideen. „Ich sollte schon auf einem Kran-Podest zehn Meter in die Höhe gezogen - oder von einem einschwebenden Helikopter abgeseilt werden.“
Ihren ersten Auftritt vergisst sie nie - im Altersheim. Der Sprung ins kalte Wasser nur mit ruhigen Balladen. Die muss sie bei den Alstadener Bären diesmal nicht spielen. Sie blickt auf ihre Uhr, schreckt auf. „So spät schon?“ Im Hintergrund ist die Vorgängerband Mennekrather fast fertig. Victoria wird jetzt zu Helene. Applaus brandet auf. Kalt ist ihr nicht mehr.
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Die Bärensitzung der Alstadener Bären kam beim Publikum bestens an. Mit 730 Besucher war die Halle gut gefüllt, aber nicht ausverkauft. Elferratspräsident Christoph Schleich und der Vorsitzende Hermann Buschmann führten souverän durch das knapp fünfstündige Programm.
Tops: Die Show- und Gardetanz der Bären zeigten viel Fleiß. Auch der Tanz der Prinzengarde von Rainer I. Lettkamp fand seine Anhänger. Flops: Die Akustik in den hinteren Tisch-Reihen war nicht gut. Das musste Redner Christian Pape erkennen, da als Folge heiteres Palavern einsetzte. Kein neues Phänomen in der Stadthalle.