Oberhausen. Vor 100 Jahren stand das heutige Stadtgebiet von Oberhausen unter französischer und belgischer Besatzung – ein zeithistorischer Rückblick.

Im Januar 1923 sind französische und belgische Truppen ins Ruhrgebiet und auch in Oberhausen einmarschiert. Daran erinnert Tobias Szczepanski, Vorsitzender des Heimatvereins Schmachtendorf. Vor genau 100 Jahren hielt die Ruhrbesetzung die Menschen in Atem.

Alle Einigungsversuche des Jahres 1922 seien zuvor erfolglos geblieben, berichtet Tobias Szczepanski. „Trotz rapide voranschreitender Hyperinflation in Deutschland hielten die belgischen und französischen Alliierten an ihren im Versailler Vertrag beschlossenen Reparationsforderungen fest und marschierten im Januar – trotz scharfer Proteste aus London, die diese Besetzung für ungesetzlich hielten – ins Ruhrgebiet ein, um ihren Forderungen auch sichtbaren Ausdruck zu verleihen.“

Während bereits ab dem 11. Januar 1923 Oberhausen französisch und Sterkrade belgisch besetzt gewesen seien, habe ab dem 15. Januar 1923 auch das kleine Schmachtendorf unter belgischer Besatzung gestanden.

Für Telegrafenmasten die Schmachtendorfer Wälder gerodet

Wenngleich Belgier und Franzosen gemeinsam in das Ruhrgebiet einmarschiert seien, sei die Ausrichtung beider Parteien unterschiedlich gewesen, so Tobias Szczepanski weiter: „Ging es den Belgiern vornehmlich um Reparationsleistungen in Form von Kohlelieferungen und Telegrafenmasten (für die auch in den Schmachtendorfer Wäldern zur Besatzungszeit kräftig gerodet wurde), wollten die Franzosen vor allem Präsenz zeigen und die Schaffung einer unabhängigen Rheinischen Republik forcieren, die künftig als neutraler Pufferstaat zwischen den einstigen Kriegsgegnern liegen sollte.“

Letzteres habe man auch durch eine eigene Währung erreichen wollen. Über diese Pläne habe auch der Oberhausener General-Anzeiger am 15. Januar unter dem Titel „Eine neue Münze?“ berichtet.

Die Reichsregierung in Berlin rief die Bevölkerung zum passiven Widerstand auf. „Auch in unserer Stadt wurde auf den Einmarsch mit scharfem Protest regiert“, erläutert Tobias Szczepanski. „Die Stadtverordneten der Städte Oberhausen und Sterkrade beschlossen einstimmig Protestnoten, die Geschäfte wurden als Zeichen sichtbaren Widerstands halbtags geschlossen, am 15. Januar wurde im Stadtgebiet für eine halbe Stunde jegliche Arbeit niedergelegt.“

Soldaten in Gaststätten und Schulen einquartiert

Tobias Szczepanski, Vorsitzender des Heimatvereins Schmachtendorf, blickt 100 Jahre zurück.
Tobias Szczepanski, Vorsitzender des Heimatvereins Schmachtendorf, blickt 100 Jahre zurück. © Handout

Während Sterkrade das Hauptquartier der belgischen Besatzungstruppen geworden sei, habe die Besetzung in Schmachtendorf zu logistischen Problemen geführt, denn für die Einrichtung einer belgischen Kommandantur und für die Unterbringung der Besatzungssoldaten seien kaum Möglichkeiten vorhanden gewesen. Ein gewisser Hauptmann Vanniesbecq sei mit seiner Truppe in der Gaststätte Schlagregen einquartiert worden, weitere Truppenteile in den Lokalen Möllmann, Fandel und Gerlach. Als im April neue Soldaten einrückten, seien dann auch Schulen belegt worden.

„Was vorher noch selbstverständlich war, wurde den Schmachtendorfern von einem auf den anderen Tag per Anordnung durch die Kommandantur verboten und mit Strafen geahndet, die im weiteren Verlauf der Ruhrbesetzung im Jahre 1923 noch verschärft wurden“, so Tobias Szczepanski. Weder das Benutzen von Kraftfahrzeugen, Omnibussen und Straßenbahnen (am 16.8.1923 wieder aufgehoben), der Ankauf und Besitz verbotener Zeitungen noch eine „feindselige Haltung gegenüber den Besatzern“ seien erlaubt gewesen.

Prominente Sterkrader Opfer der Ruhrbesetzung

Zu den prominenten lokalen Opfern gehörten der Sterkrader Bürgermeister Dr. Heuser, der nach Abfassen von Protestschreiben aus seiner Stadt ausgewiesen worden sei, und der Sterkrader Beigeordnete Behrens, der wegen „Widerstandes gegen die Besatzungsmacht“ sechs Monate im Gefängnis saß.

Erst am 20. Juli 1925 endete die Besatzungszeit in Schmachtendorf.