Oberhausen. Mit pointensattem Kästner-Witz begeistert das Theater Oberhausen die Jüngsten im Publikum ebenso zielsicher wie die Großen.

Beim tosenden Schlussapplaus hört man doch gleich, wem die Sympathien des Publikums aller Altersgruppen gehören: Da ist natürlich an erster Stelle Emilie Haus als Pünktchen, die unverdrossene, wortwitzig-freche Heldin von Erich Kästners Erzählung, neben ihr Tim Weckenbrock als der etwas stillere Anton, der im gleichen Kindesalter schon einige Erwachsenenarbeit stemmen muss. Doch auch Anna Polka erntet Jubel für ihre Köchin Berta – dicht gefolgt von Torsten Bauer als Direktor Pogge.

Er hat das Publikum schon in den ersten dieser überaus kurzweiligen 70 Minuten entzückt, als er formvollendet in seiner Mercedes-Karosse herankurvt: Die ist nämlich ein Elektro-Modellauto für verwöhnte Kinder von heute – genau die richtige Größe für jene Saalfluchten, die das prielblumenblümerante Bühnenbild von Franziska Isensee so stilvoll andeutet. Mit ihren Kostümen ist das Personal von „Pünktchen und Anton“ so sehr in den 1930ern wie im wilden Stilmix der 1970er. Susanne Burkhard jedenfalls trägt als snobistische Mama Charlotte Pogge einen Traum von einer Elke-Sommer-Perücke.

Kesse Sohle: In den braven Walzertakt wechseln Fräulein Andacht und Robert (Ronja Oppelt und Philipp Quest) erst, als die Kinder im „Café Sommerlatte“ auftauchen.
Kesse Sohle: In den braven Walzertakt wechseln Fräulein Andacht und Robert (Ronja Oppelt und Philipp Quest) erst, als die Kinder im „Café Sommerlatte“ auftauchen. © Theater Oberhausen | Axel J. Scherer

Die kleinen Ausstattungswunder können den Älteren im Großen Haus am Will-Quadflieg-Platz sicher noch mehr Spaß machen als den Kleinen. Doch Ingrid Gündischs Regie sorgt auch für ungemein treffsicher platzierte große Gesten, die Reich und Arm, Herrschaften und aufmüpfige Dienstboten für alle im Saal nuanciert charakterisieren: Wenn hier chargiert wird, dann nur im richtigen Moment und mit großem Spaß am karikaturesken Strich.

Ein Mini-Häuschen rollt aus den Wohlstandskulissen

Wer also hinguckt und hinhört, weiß schon bald, dass Kindermädchen Fräulein Andacht (Ronja Oppelt) sich ihrem Verehrer Robert (Philipp Quest) zuliebe auf ein tückisches Spiel einlässt. Das macht die beiden Bösewichte des Kästner’schen Kinder-Krimis aber keineswegs zu Monstern – im Gegenteil: Ihre Tanzschritte im „Café Sommerlatte“ (klingt fast wie eine Anspielung auf den früheren Erfolgsintendanten Klaus Weise) haben den Szenenapplaus hoch verdient. Peter Engelhardts Gitarrenmusik changiert ohnehin souverän zwischen Gypsy-Swing und dem süffigen Schuss Rock’n’Roll.

Das turbulente Spiel, das mit wenigen Statisten selbst das abendliche Getümmel auf Weidendammer Brücke ins Bild setzt, weiß aber auch gekonnt innezuhalten. Da ist die enge Wohnung von Anton und seiner Mutter, die für eine Szene als Mini-Häuschen aus den Wohlstandskulissen nach vorne rollt – und in der sich Pünktchen und Anton slapstickreif aneinander vorbei schmiegen müssen.

Dicke Freundschaft passt in die kleinste Hütte: Pünktchen in Antons beengter Wohnküche.
Dicke Freundschaft passt in die kleinste Hütte: Pünktchen in Antons beengter Wohnküche. © Theater Oberhausen | Axel J. Scherer

Eine weitere Szene in zauberischer Stille hat diese Oberhausener Inszenierung zur Vorweihnachtszeit dem Buch hinzugefügt: Im Traum sieht Pünktchen die ziemlich zaghaften Eltern über sich im Bühnenhimmel schweben. Nun ist Anton der patente Lehrer, der den etwas dicken Direktor Fitness paukt.

Doch ganz überwiegend bleibt Ingrid Gündischs Regie nah an Kästner, trifft diesen so raren Berliner Ton der 1931 noch gültigen „Neuen Sachlichkeit“: Man hat große Gefühle, aber schmilzt nicht im Sentiment – ein Spiel zwischen Zärtlichkeit und Distanz, das bis in die actionreichen Verfolgungsjagden zwischen den Kulissenwänden trägt.

Stummfilm-Artistik mit der Bratpfanne

Apropos Action: Den Showdown zwischen Berta und dem Einbrecher Robert im Dunkel von Pogges palastartiger Wohnung dürften wohl alle Zuschauer als Sahnebonbon dieser 70 Minuten genossen haben. Wie sich die Köchin mit ihrer makellosen Rüschenschürze, bewaffnet mit spiegelnder Bratpfanne, und der Ganove mit Taschenlampe in wahrer Stummfilm-Artistik umschleichen und den Knockout für köstliche Momente hinauszögern: das ist ganz großer Theaterspaß.

Enttäuschend in dieser rundum stimmigen und nahezu sicheren Erfolgsinszenierung sind eigentlich nur die Polizei-Uniformen wie aus dem Quelle-Katalog des Heinz Oestergaard. Da hatten die von Kästners Zeichner Walter Trier getuschten Schupos einfach mehr Schick.

Zum Schluss dieses Bühnenfestes für die Freundschaft besingen die Familien Pogge und Gast in einem riesigen aufblasbaren Flamingo die gemeinsamen Ferien an der Ostsee. Fehlt nur noch eine blitzende kleine Elektrojacht, die Pünktchens Direktoren-Papa zu improvisiertem Jazz-Gebrummel zu Wasser lassen könnte . . .