Oberhausen. Die evangelische Kirche schrumpft stark – mit künftig viel weniger Mitgliedern und Pfarrern. Doch es gibt neue Ideen, Christen zurückzugewinnen.

Ein Zeichen, wie zukunftsorientiert Protestanten in schwierigen Krisenzeiten sind, hat am Dienstagabend die evangelische Kirchengemeinde Königshardt-Schmachtendorf gesetzt: Im Zuge der Jubiläumswoche zum 150-jährigen Bestehen der Kirche am Buchenweg diskutierten Fachleute und Praktiker, wie man die Zukunft der Evangelischen Kirche im Rheinland angesichts schnell sinkender Mitgliederzahlen bewältigen kann. Superintendent Joachim Deterding und Lukas Schrumpf vom Landeskirchenamt waren vor leider nur 20 Zuhörerinnen und Zuhörern zu Gast.

Seit einem Jahr liegt ein neues Positionspapier der Protestanten vor: „Wir gestalten ,evangelisch rheinisch’ zukunftsfähig“, so lautet dazu die Überschrift mit Blick auf das Jahr 2030. Beim jüngsten Debattenabend ging es immer wieder um die Perspektiven dieses Positionspapiers. Lukas Schrumpf zeichnete zum Auftakt schonungslos ein aktuelles Bild: „Wir verlieren als Landeskirche alle zehn Jahre ungefähr 300.000 bis 400.000 Mitglieder – umgerechnet auf Gemeinden sind das pro Jahr etwa 15 bis 20 Gemeinden je 2000 Mitglieder.“

Viele Menschen in der evangelischen Kirche haben die ständigen Spardebatten satt

Immer weniger Gläubige mit festem Kontakt zu einer evangelischen Ortsgemeinde; immer weniger Kirchensteuer-Einnahmen und deshalb immer größer werdende Finanzprobleme – die evangelische Kirche im Rheinland steht wahrlich vor einem herausfordernden Jahrzehnt. Sie will aber nicht in Depression verfallen, sondern wegkommen von der immerwährenden Spardebatte.

Superintendent Joachim Deterding machte beim jüngsten Debattenabend am Buchenweg deutlich, dass die evangelische Kirche in Oberhausen schon in einigen Jahren mit deutlich weniger Pfarrerinnen und Pfarrern auskommen muss.
Superintendent Joachim Deterding machte beim jüngsten Debattenabend am Buchenweg deutlich, dass die evangelische Kirche in Oberhausen schon in einigen Jahren mit deutlich weniger Pfarrerinnen und Pfarrern auskommen muss. © FFS | Michael Dahlke

Künftig soll es wieder mehr um die „Lust am Tun“ gehen, wie Lukas Schrumpf erklärte, also um die Freude am Ausprobieren von konkreten Projekten und Ideen. Viele Möglichkeiten sind dazu im Positionspapier der Kirche skizziert: Die Gemeinden sollen sich zum Beispiel möglichst spezialisieren, um bestimmte Menschen, Studenten, Facharbeiter oder Handwerker, erfolgreich anzusprechen. Eine Gemeinde könnte zum Beispiel vor allem den Jugendlichen Angebote machen, eine andere könnte eher die Senioren in den Blick nehmen; neue Gemeinschaftsformen sollen gepflegt werden. An die Stelle kirchlicher Monokultur soll eine Vielfalt treten, die der Vielfalt von Lebensentwürfen in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts entspricht.

Klingt alles sehr gut, stößt aber bei zahlreichen Menschen auf Skepsis, wie auch am Debattenabend deutlich wurde. Auch die gewünschte Digitalisierung der Gemeindearbeit steht offenbar für viele „normale“ Gläubige keineswegs an erster Stelle. Ihnen ist vor allem der traditionelle Gottesdienst wichtig und die persönliche, nicht-digitale lebensechte „Beziehungspflege“ im vertrauten Gemeindedasein, der Austausch und Kontakt also zu Pfarrerinnen und Pfarrern und anderen Gläubigen.

Verstärkte Arbeitsteilung unter den Gemeinden wird nötig werden

Attraktive Tauf-Events, automatisierte kirchliche Geburtstagsglückwünsche per E-Mail an Gemeindemitglieder, digitale Presbyteriumswahlen – immer wieder drehte sich das Gespräch um mögliche, konkrete Neuerungen. Superintendent Joachim Deterding machte klar, dass der evangelischen Kirche in Oberhausen in wenigen Jahren deutlich weniger Pfarrerinnen und Pfarrer zur Verfügung stehen werden. Es gelte, sich um das wirklich Wichtige, etwa um die Vor-Ort-Seelsorge und Beziehungspflege zu den Menschen zu kümmern; zudem werde sich verstärkt eine Arbeitsteilung unter den Gemeinden entwickeln müssen. „Jeder macht das, was er am besten kann.“

Pfarrer Thomas Levin gestaltet mit Stephanie Züchner am Sonntag, 23. Oktober, den Festgottesdienst zum 150-Jahre-Jubiläum.
Pfarrer Thomas Levin gestaltet mit Stephanie Züchner am Sonntag, 23. Oktober, den Festgottesdienst zum 150-Jahre-Jubiläum. © FFS | Michael Dahlke

Auch in Oberhausen gibt es eine Arbeitsgruppe „Evangelisch 2030“, die sich um all diese Zukunftsfragen kümmert. Moderiert von Pfarrerin Stephanie Züchner wurde die evangelische Kirchenzukunft am Dienstagabend fast zwei Stunden lang am Buchenweg ausführlich und teils kontrovers diskutiert.

Jubiläumswochenende 1872-2022 mit Konzert und Festgottesdienst

Zum Abschluss erklang – am Klavier begleitet – das Lied „Der Mond ist aufgegangen“. Ein harmonischer Ausklang, der auf das kommende Jubiläumswochenende einstimmte: Am Samstag, 22. Oktober, gibt es um 18 Uhr ein Konzert von Posaunenchor und Gospelchor. Am Sonntag, 23. Oktober, beginnt um 10.30 Uhr der Festgottesdienst mit Stephanie Züchner und Thomas Levin, mitgestaltet vom Posaunen- und Gospelchor.

Auf den Tag genau vor 150 Jahren, am 23. Oktober des Jahres 1872, ist die erste evangelische Kirche am Buchenweg feierlich in den Dienst genommen worden. Vom Ursprungsgebäude steht heute nur noch eine einzige Seitenwand, die Teil des neuen, seit 2019 frisch renovierten Gotteshauses ist. All das beweist wohl: Kirche findet irgendwie immer eine Zukunft.