Oberhausen. Viel zu oft werden Lehrverträge wieder aufgelöst. Ein Gespräch über mögliche Gründe und Wege aus einer Enttäuschung für beide Seiten.
Kurz nach Beginn des neuen Lehrjahres ist die überdurchschnittlich hohe Abbrecherquote bei Auszubildenden in Oberhausen erneut Thema in einem politischen Gremium. Im Wirtschafts- und Digitalisierungsausschuss steht ein Kurzbericht der Stadt auf der Tagesordnung, welcher zeigt, dass die Quote der Vertragsauflösungen seit zehn Jahren konstant über dem Landesschnitt liegt. So wurde 2019 jeder dritte Ausbildungsvertrag aufgelöst (32 Prozent), während dies NRW-weit bei 26,8 Prozent der Fall war. Jürgen Koch, Geschäftsführer der Oberhausener Agentur für Arbeit, hält sich nicht mit den Ursachen auf, die er auf beiden Seiten sieht. Er hat konkrete Vorschläge dafür, wie man junge Leute viel früher und enger mit der Berufswelt in Kontakt bringen kann. Er findet: „Da ist noch Luft nach oben.“
Herr Koch, warum ist die Zahl der Ausbildungsabbrecher gerade in unserer Stadt so hoch?
Dazu habe ich nur eine Vermutung: Es könnte sein, dass der Anteil an handwerklichen Ausbildungen in Oberhausen höher ist als in anderen Städten und genau diese häufiger vorzeitig beendet werden. Man muss jedoch sehen, dass der Ausbildungsmarkt deutschlandweit ein Sorgenkind ist.
Wie ist die aktuelle Lage?
Die Betriebe suchen händeringend nach Azubis. Die Auswahl ist eigentlich ganz gut, auf einen Bewerber kommen zurzeit etwa 0,8 Stellen. Aber es gibt auch Unzufriedenheit über die jungen Leute. Teilweise geben Betriebe auf, weil sie finden, dass die Bewerber aus ihrer Sicht nicht ausbildungsreif sind. Auf der anderen Seite streben sehr viele Schüler ein Studium an. Die Wertigkeit von Ausbildung ist allgemein gesunken.
Man liest doch überall von vollen Auftragsbüchern und es gibt Kampagnen wie „Das Handwerk“.
Hier handelt es sich um ein gesellschaftliches Problem, das man mit Werbung nicht lösen kann. Handwerksberufe sind oft körperlich anstrengend, manchmal auch schmutzig. Sie werden gesellschaftlich oft zu wenig gewürdigt, auch wenn das schon etwas besser geworden ist.
Wer ist Schuld daran, wenn es nicht weitergeht: der Betrieb oder der Lehrling?
Die Erwartungshaltung ist heute eine ganz andere, schon alleine deshalb, weil die Jugendlichen oftmals schon älter sind, wenn sie eine Lehre beginnen. Früher ging es mit 16 Jahren los, heute oft erst mit 19. Die kommen dann in die Betriebe und sagen: So habe ich mir das nicht vorgestellt. Die Betriebe müssen einiges ändern und damit fangen viele gerade erst an.
Es gibt bereits Angebote für Azubis, die Unterstützung benötigen. Damit sie durchhalten und nicht aufgeben. Was müsste noch getan werden?
Es gibt die Assistierte Ausbildung, bei der Auszubildende Hilfe in Anspruch nehmen können. Wenn ein junger Mann beispielsweise von seiner Freundin verlassen wird und in ein tiefes Loch fällt. kann es die sozialpädagogische Begleitung sein oder der Nachhilfe-Unterricht, wenn es in der Berufsschule nicht klappen will. Aber hierfür müssen Betrieb oder Berufsschule erkennen, dass jemand Hilfe braucht. Da müssen die Zahnräder schon sehr genau ineinandergreifen. Meine Forderung lautet, dass man noch viel früher ansetzen muss, in der Schule. Berufswahl und Berufsorientierung müssen ein fester Bestandteil im Unterricht werden, wöchentlich und spätestens in der neunten und zehnten Klasse. Unterstützt durch viel Expertise aus allen Netzwerken der Unternehmen und unserer Berufsberatung.
Auch an Gymnasien?
Dort müsste man selektieren, wer macht eher eine Ausbildung, wer wird und vor allem kann studieren. Wichtig ist, dass die Informationen von Leuten kommen, die am Puls des Ausbildungsmarktes sind. Von Berufsberatern, Karriereberatern, Unternehmensvertretern. Und von Multiplikatoren, die auf Augenhöhe mit den Kids reden. Das können auch Influencer sein. Meine Devise lautet: Ich will eigentlich keine Berufsberater mehr bei uns im Haus sehen, die sollen unterwegs bei den Jugendlichen sein. Neulich hatten wir eine Nacht der Ausbildung, bei der wir junge Menschen mit Betrieben in Kontakt gebracht haben Es gab hundert Teilnehmende und inzwischen sogar schon einen Vertragsabschluss.
Sie sprechen sich leidenschaftlich für die Ausbildung aus. Haben sie selbst eine gemacht?
Nein, aber ein Duales Studium, dort gibt es auch einen großen Praxisanteil. Ausbildung ist ein hohes Gut in unserem Land, darum beneiden uns andere Länder. Das darf uns nicht kaputtgehen. Dafür müssen wir alle etwas tun.