Oberhausen. Zum zweiten Mal zeigt die Ludwiggalerie in einer Prachtausstellung die Illustrationen für Otfried Preußlers Kinder- und Jugendbücher.

Ganz oben im Kinoraum der Ludwiggalerie trompeten es die Filmplakate: „Nach dem Weltbestseller“! Ist das nicht reichlich übertrieben, war und bleibt Otfried Preußler nicht ein sehr deutscher Figurenschöpfer und Geschichtenerzähler? Aufgewachsen ist der Erfinder von Räuber Hotzenplotz und der Kleinen Hexe, von Krabat und dem Kleinen Wassermann in Liberec (Reichenberg), auf der böhmischen Seite des tschechisch-polnisch-deutschen Dreiländerecks.

Otfried Preußler (1923 bis 2013) „war geprägt durch die mündliche Überlieferung alter Sagen und Volksmärchen“, sagt Linda Schmitz-Kleinreesink, die Kuratorin der jetzt wieder aufgelegten Prachtschau im Schloss Oberhausen. „Seine Großmutter tat immer so, als würde sie aus einem großen Buch vorlesen“ – dabei habe sie frei aus dem großen Fundus ihres Gedächtnisses geschöpft. So kann eben auch eine literarische Weltkarriere beginnen: mit im schönsten Sinne „provinziellen“ Geschichten vom Nöck und magischen Quellen, aus denen – man bestaunt’s vor prallvollen Buchvitrinen – „Den lille Vannemannen“ wurde oder „Vodnicek“.

„Nach dem Weltbestseller“: Ganz oben unterm Galeriedach gibt’s nicht nur Filmplakate, sondern auch den Trailer mit Karoline Herfurth als kleiner Hexe – und ihren Hexenbesen als Requisite.
„Nach dem Weltbestseller“: Ganz oben unterm Galeriedach gibt’s nicht nur Filmplakate, sondern auch den Trailer mit Karoline Herfurth als kleiner Hexe – und ihren Hexenbesen als Requisite. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Mit dem „Kleinen Wassermann“ ist Preußler als Erzähler in den 1950ern auf dem Buchmarkt aufgetaucht. Und die Ludwiggalerie leistete, dank des prächtigen Bestandes von Originalblättern aus dem Archiv des Thienemann-Esslinger-Verlags, bereits mit der ersten Preußler-Ausstellungsrunde beachtliche „Pionierarbeit“, wie Christine Vogt als Direktorin der Ludwiggalerie selbstbewusst betont: „Unsere Kernkompetenz ist das Bild. So haben wir die Zeichnerinnen und Zeichner in Erinnerung geholt.“

Sprung in der Ausstattung von Kinderbüchern

Dass etwa Winnie Gebhardt (1929 bis 2014), die sowohl den kleinen Wassermann als auch die kleine Hexe so hingebungsvoll tuschte, im deutschen Illustratorenlexikon nicht einmal geführt werde, findet Dr. Vogt als Kunsthistorikerin unglaublich, aber keineswegs märchenhaft. Preußlers Geniestreich, die eher beängstigenden Wassergeister und Zauberinnen seiner eigenen Kindheit in durchweg freundliche Figuren zu verwandeln, geben Gebhardts zugleich schlichte und voller Details vibrierende Zeichnungen noch größere Überzeugungskraft.

Christine Vogt sieht diese Werke im Rang von „Key Visuals“ – es sind aber auch Belege für den gewaltigen Sprung in der Ausstattung von Kinderbüchern seit der frühen Nachkriegszeit. Denn der Kontrast zwischen den originalen Gebhardt-Zeichnungen und den von Farben sprühenden Bildern des 50 Jahre jüngeren Daniel Napp könnte kaum größer sein. Auch Matthias Weber, der am PC die Frühwerke (einschließlich der „Räuber Hotzenplotz“-Zeichnungen von F. J. Tripp) kolorierte, gibt den im Kern jahrhundertealten Geschichten wieder jenen Glanz, den „Weltbestseller“ eben beanspruchen dürfen.

Kinderbriefe und -bilder an Otfried Preußler erzählen von der ungebrochenen Strahlkraft seiner märchenhaften Geschichten.
Kinderbriefe und -bilder an Otfried Preußler erzählen von der ungebrochenen Strahlkraft seiner märchenhaften Geschichten. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Die größte Prachtentfaltung gilt aber – ausgerechnet – einer Sagenerzählung, in der Preußler (als 19-Jähriger noch ein beflissener Propagandist des NS-Systems) seine eigene Verführung durch das Böse spiegelte: „Krabat“, die Geschichte vom einäugigen Müller, der sich in der sächsischen Lausitz der schwarzen Magie verschrieben hatte, war nicht nur für den Erzähler ein Langzeit-Projekt, das er erst nach zehn Jahren vollendete. Auch sein Illustrator Herbert Holzing investierte mit Tuschen und farbigen Folien höchsten drucktechnischen Aufwand, um die großformatigen Blätter wie alte Ikonen glänzen zu lassen.

Die unsympathischen Hörspiel-Stimmen

Die Buchkunst zu Preußlers Erzählungen wirkt nicht nur hinter den Einbänden oder auf Ausstellungswänden und Kinoplakaten: Der junge Recklinghäuser Julian Sonntag versetzte die berühmten Hotzenplotz-Figuren keck ins Rost-Revier. Der Street-Artist sprayte die hinreißend klamaukigen Bildzitate auf Relikte der Industriekultur – und schuf so einen Räuberwald inmitten der vielzitierten „Lost Places“.

Isabel Kreitz steht mit ihrem fast kubistischen Cover-Entwurf für die mitternächtlichen Erzählungen von „Zwölfe hat’s geschlagen“ für eine entschieden moderne Auffassung von Preußler-Illustrationen. Und Ralf Marczinczik aus Wattenscheid darf auf der Comic-Doppelseite „Hotzenplotz und ich“ sogar rundheraus zugeben, wie unsympathisch ihm die Hörspiel-Stimmen von Kasperl und Seppel waren. Preußler prägte eben auf vielerlei Art.

Wieder mit großem Begleitprogramm

Wissenschaftliche Genauigkeit und Bilderspaß vereint der bereits 2020 aufgelegte, großformatige Katalog zur Ausstellung: 160 Seiten stark für 29,80 Euro erhältlich im Museumsshop und im Buchhandel.

Zur Otfried-Preußler-Schau bietet das Team der Ludwiggalerie wieder ein umfangreiches Begleitprogramm – nicht nur für Kinder. Es startet bereits am Donnerstag, 22. September, um 18 Uhr mit Märchen und Geschichten für Erwachsene, vorgetragen von den Erzählerinnen Melody Reich und Sabine Schulz.

Infos zu Führungen, Hexen- und Gespenstertagen gibt’s online auf ludwiggalerie.de. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro.