Recklinghausen. Ein Schatz für Recklinghausen: 250 hochkarätige Werke ostkirchlicher Kunst gehen als Schenkung ans Ikonen-Museum. Eine Schau zeigt sie Samstag.

Die meisten Museumsleiter im Revier hat ihr Dasein zur dauerhaften Demut erzogen. Man hat wenig und macht daraus noch das Beste. Dann aber geht plötzlich ein Segen nieder über Recklinghausen, der uns fast wundergläubig macht. Eine der bedeutendsten Sammlungen in privater Hand geht an das Ikonen-Museum. 250 Heiligenbilder! Wann war die Wendung vom Geschenk des Himmels so doppelsinnig wahr?

So kommt selbst ein diskret agierender Mann wie Lutz Rickelt ins Schwärmen. „Einzigartig“, nennt der Chef des Ikonen-Museums den Coup, den wir gerne mit einem plastischen Beispiel unterfüttern. Es mag kleinkariert sein, im Angesicht des goldbronzierten Heiligen Nikolaus oder Dutzender ehrwürdiger Marienbildnisse mit dem Rechenstift zu agieren, aber bei einem jährlichen Ankaufsetat von 39.000 Euro (den sich Recklinghausens zwei Museen dann auch noch teilen) hätte man 100 Jahre einkaufen müssen, was ein einziger Mann dem bedeutendsten Ikonen-Museum Westeuropas jetzt einfach so überließ, als Liebhaber und Sammler.

250 Ikonen sind der Neuzugang für Recklinghausens ohnehin bedeutende Sammlung

Es ist Dr. Reiner Zerlin, heute im 81. Lebensjahr, früher für Jahrzehnte Jugendrichter am Düsseldorfer Amtsgericht. Die Leidenschaft für die Welt der Ikonen packt ihn früh. Reiner und sein drei Jahre älterer Bruder Jochen, der später Priester wird, sind kaum volljährig, als die Kunstform ihre Neugier weckt. Eine Klassenfahrt nach Griechenland tut ein Übriges. Jochen ist 23, als er seine erste bedeutende russische Ikone erwirbt: Bruder Reiner schießt Geld dazu, es geht schließlich um die „Gottesmutter von Vladimir“. Beide werden Sammler, abseits des funkelnden Scheinwerferlichts, in dem Teile der restlichen Kunstszene sich zu sonnen pflegen.

Also gab es keine Anwesenheit des Spenders am Donnerstag. Interviews? Aussichtslos! Im Mittelpunkt – die Brüder sammelten die Werke auch als „Gegenstände gläubiger Verehrung“ – sollen eben allein jene 250 Werke stehen, die nun dem Museum gehören. Der Wert von über zwei Millionen gilt als sehr konservativ geschätzt. Und: Wegen ihrer Seltenheit gäbe es die meisten Werke derzeit überhaupt nicht zu kaufen. Vor allem der Markt von Ikonen aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert gilt als einigermaßen leergefegt.

In Westeuropa gilt Recklinghausens Ikonen-Museum als eine der ersten Adressen der Kunstform

Der Umfang dieser Gabe ließ Rickelt und die Seinen den Bau nahe St. Peter verlassen. Das Volumen hätte dem Ganzen die fromme Enge eines, pardon, Herrgottswinkels verordnet. Die Tatsache, dass die Ruhrfestspiele 2020 neben Theater auch auf ihre große Ausstellung verzichten, schenkte der Kunsthalle Luft, Gastgeber zu sein.

Die Großzügigkeit über drei Etagen tut dem Werk gut, das Ausstellungsdesign erst recht. Es ist so unspektakulär wie feinsinnig. Der dunkle Petrolton etwa, der die erste Gruppe orthodoxer Kirchenkunst „untermalt“, ist ein Farb-Zitat aus dem Mantel einer ausgestellten Christus-Ikone. Die Stücke können schön für sich wirken, auch da noch, wo sie in korrespondierenden Gruppen gehängt sind.

Die Schau „Über Dich freuet sich die ganze Schöpfung“ läuft bis Ende August in der Kunsthalle

Ein Zitat ist auch der Name der Schau: „Über Dich freuet sich die ganze Schöpfung“ stammt aus einem Marienhymnus der ostkirchlichen Liturgie. Es ist zugleich der Name eines Ausstellungsstücks. Aber natürlich gilt diese Freude auch dem Neugewonnenen, das die Rufe nach einem Erweiterungsbau des Ikonen-Museums nicht leiser werden lassen wird.

Dass das Depot des Hauses wächst, dokumentiert seinen Rang: Wenn geschenkt wird, dann nicht selten Richtung Vest. Mag das Haus in der Wahrnehmung des Ruhrgebiets nach wie vor Orchideenstatus haben, für die Gemeinde der Sammler außerhalb des russischen Sprachraums hat es einen Rang wie Marbachs Archiv für literarische Nachlässe. Der berechtigten Sammler-Sorge, dass eine mit Liebe zusammengetragene Kollektion durch Erben verstreut wird, verdankt Recklinghausen manchen Schatz.

Ohne Hinwendung und Liebe zur Gattung gibt auch diese Schau dem Besucher nur einen Teil ihrer Schöpfungsschönheit preis. Wir empfehlen den langen Blick auf die wimmelbildhaften Festtagsikonen, die Motive von der Höllenfahrt bis zur Auferstehung zeigen. Oder die Heiligen, deren Antlitz mal individuelle Gabe (Nikolaus’ hyperhohe Stirn symbolisiert Weisheit) verrät, mal – filmisch fast – das Ende vorwegnimmt. Und natürlich die Schönheit der Muttergottes, vielfältig variiert, immer aber nach innen strahlend. Sie alle werden eines Tages Familienzuwachs bekommen. Jochen Zerlin hat signalisiert, dass auch seine Ikonen dereinst nach Recklinghausen kommen.