Oberhausen. Erstmals führt die Ludwiggalerie in einer Prachtausstellung die Illustrationen für Otfried Preußlers Kinder- und Jugendbücher zusammen.
Das ist Wissenschaft? Na klar, schließlich sieht man jetzt im Schloss Oberhausen das kleine Gespenst durch einen Museumssaal schweben: Gerade hat es eine Vitrine geknackt, um die erbeutete Taschenuhr in die Suppenschüssel unter seinem bleichen Arm zu legen. Tatort: ein Antiken-Kabinett voller im Mondlicht schimmernder Bronzen und Keramiken. Und in der Gelehrtenstube von Petrosilius Zwackelmann stapelt sich die Belesenheit in gewichtigen Folianten bis an die hohe Decke.
Der Merksatz von Christine Vogt, der Direktorin der Ludwiggalerie, „es ist ganz klar wissenschaftliche Arbeit“, meint allerdings nicht die liebevollen Volten, die der Forschergeist bei Otfried Preußlers Illustratoren genommen hat. Mit stolzem Trara – „wie auf dem Jahrmarkt von Rummelsbach“ – gilt es vielmehr kundzutun, dass die Ludwiggalerie erstmals das große Oeuvre des „Figurenschöpfers und Geschichtenerzählers“ aus dem böhmischen Reichenberg zusammenführt: und zwar in einer (ganz unwissenschaftlich) betörend schönen Ausstellung.
Für die Prachtschau vom 13. September bis 10. Januar 2021 im Schloss Oberhausen öffnete der Thienemann-Esslinger-Verlag in Stuttgart – bei dem neben Preußlers Büchern auch die Werke von Michael Ende, Max Kruse und James Krüss erscheinen – sein offensichtlich überbordendes Archiv. „Illustration ist angewandte Kunst“, sagte Verlegerin Bärbel Dorweiler vor den frühesten Zeichnungen für „Die kleine Hexe“ – und werde damit vom Museumsbetrieb allzu oft unterschätzt.
Die Schreckensgestalt als Kerl zum Knuddeln
Nicht so von Kuratorin Linda Schmitz-Kleinreesink: In einer perfekten Welt, in der die Wissenschaft schon das akute Virus besiegt hätte, müsste neben den prächtigsten dieser Buch-Illustrationen zum augenfälligen Vergleich sogar „große“ Kunst hängen – so nahe sind etwa die Zeichnungen für „Die Abenteuer des starken Wanja“ der Prachtentfaltung russischer Ikonen. Marc Chagalls malerische Flüge über alte „Stetl“ sind eine ebenso starke Inspiration.
Ludwiggalerie bietet wieder ein großes Begleitprogramm
Wissenschaftliche Genauigkeit und Bilderspaß vereint auch der großformatige Katalog zur Ausstellung: 160 Seiten stark für 29,80 Euro erhältlich im Museumsshop und im Buchhandel.
Zur Otfried-Preußler-Schau bietet das Team der Ludwiggalerie, trotz Corona, wieder ein umfangreiches Begleitprogramm – nicht nur für Kinder. Es startet bereits am Freitag, 18. September, um 18 Uhr mit Märchen und Geschichten für Erwachsene, vorgetragen von den Erzählerinnen Melody Reich und Sabine Schulz.
Über Führungen, Hexen- und Gespenstertage informiert online ludwiggalerie.de. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro.
Otfried Preußler, der den meist düsteren Ton der alten Märchen und Sagen für seine eigene junge Leserschaft umkehrte – und damit die Schreckensgestalt des Räubers in einen Kerl zum Knuddeln verwandelte – zahlte selbst einen hohen Preis für seine verführte Jugend: Der 19-Jährige schrieb noch beflissen den HJ-Roman „Erntelager Geyer“ und geriet als 21-jähriger Soldat für fünf Jahre in sowjetische Kriegsgefangenschaft. „Krabat“, die alte sorbische Sage aus dem 30-jährigen Krieg vom Müller und dessen schwarzer Magie, erzählt von der Verführungskraft des Bösen: Die Illustrationen von Herbert Holzing gleichen sich virtuos der „schwarzen Kunst“ des 17. Jahrhunderts an.
Die Ludwiggalerie platzierte daneben, topaktuell, das druckfrische Plakat für die kommende Opernproduktion „Krabat“ am Gelsenkirchener Musiktheater mit dem Porträtfoto eines martialisch bemalten Gesichts wie aus „Herr der Fliegen“. Für eine weitere Facette der Fotokunst in dieser überwiegend von zeichnerischem Glanz geprägten Ausstellung sorgt der junge Recklinghäuser Julian Sonntag: Der Street-Artist sprayte köstliche Hotzenplotz-Zitate im Geiste seines Vorbildners F. J. Tripp auf rostige Relikte der Industriekultur – und schuf so einen verwunschenen Räuberwald im Revier.
Wie im Flug, aber ohne Rotorenlärm
Im Dienste der Wissenschaft verweist Linda Schmitz-Kleinreesink auf die für eine Kuratorin so wertvollen Archivschätze: auf Vorzeichnungen, die etwa den mühevollen Weg zum grandios gefüllten Wimmelbild deutlich machen. Der ganz naiv Staunende bewundert eher die prächtigen Farben der Originalblätter von Herbert Lentz oder Petra Probst, deren feinste Schattierungen kein Buchdruck erfassen kann. So sieht man im „Bilderbuch“-Saal unterm Dach des Schlosses zwar nicht Preußlers berühmteste Figuren – aber einige der feinsten Illustrationen. Die winterliche Bilderstrecke von Julian Jusim für „Das Eselchen und der Engel“ ist betörend wie ein Helikopterflug, aber ganz ohne Rotorenlärm. Durch diese Ausstellung lässt sich schweben.