Oberhausen. Die Termin-Überfülle dieses Wochenendes in Oberhausen ist Anlass für einen skeptischen Blick auf das „neue Ausverkauft“.
War’s das jetzt – oder kommt noch mehr dazu? An diesem Wochenende kann jeder Anspruch an die eigene Chronistenpflicht nur scheitern. Da bräuchte es schlicht den gewissen Mut zur Lücke. Denn vom kleinen Hardrock-Club bis zur um Etliches größeren Turbinenhalle, vom Burghof-Idyll bis zum Comedy-Brettl in der Niebuhrg bieten wirklich alle alles auf. Und dann startet im 102-jährigen Theater auch noch eine neue Ära mit Oberhausens erster Intendantin.
Man möchte strahlen über ein derartiges Überangebot und alle Kulturschaffenden beglückwünschen: Wie schön, ihr seid wieder da! Doch gleichzeitig hallt die zunehmend bange Frage nach: Wer soll sich das alles ansehen? Die Pandemie scheint in diesem Sommer wundersam überwunden: Die Inzidenzen der Infizierten sind zwar weit höher als noch im Vorjahr (als viele noch für ihre Impfungen anstanden); doch gerade die Großereignisse liefern Bilder, als wäre nie was gewesen. Und auch im Nachklang der Schlager-Sausen oder von Olgas Rock scheinen die Shows mit „Superspreader“-Potenzial niemanden zu beunruhigen.
Das Publikum wahrt vornehme Zurückhaltung
Beim Publikum der mittelgroßen bis kleinen Häuser sieht das anders aus – und der feinsinnige Musik-Kabarettist Timm Beckmann brachte es unumwunden auf den Punkt: „Halbvoll ist das neue Ausverkauft.“ Ein Kleinkunst-Tempel wie das Ebertbad kann sich selbst „garantierter“ Saalfüller nicht mehr sicher sein. Die Qualität stimmt – gewiss investieren die Künstlerinnen und Künstler sogar noch mehr Hingabe in das lange entbehrte Live-Erlebnis.
Doch das Publikum wahrt allzu oft vornehme Zurückhaltung und bleibt auf dem heimischen Sofa. Es ist nur zu verständlich. Wer sich nicht gerade im Genuss eigener Jugend für unverwundbar hält, an dem nagt halt immer noch der Gedanke: Wie sicher kann ich mich zwischen hunderten Unmaskierter fühlen? Das umfassende „Laissez-faire“ in Sachen Coronaschutz dürfte für viele eher eine Hürde als eine Erleichterung sein.
Drall zu unbekümmerter Selbstausbeutung
Noch schwerer wiegt der bange Blick auf den Winter. Niemand kann abschätzen, was womöglich durch Inflation und Energiekrise in seiner eigenen Lebensgestaltung wegbricht. Und dann kommen diese Kulturschaffenden und beklagen dürftigen Zuspruch? Ja, es gibt Wichtigeres. Aber zwei zähe Lockdowns haben auch gezeigt, wie schwer es – trotz des vielbeschworenen „Neustarts Kultur“ – fällt, zur 2019 noch so vertrauten Üppigkeit zurückzufinden.
Die Kultursparte ist ohnehin berühmt-berüchtigt für ihren Drall zu unbekümmerter Selbstausbeutung, bei der man die Arbeitsstunden selten zählt (und noch seltener seinen Stundensatz ausrechnet). Doch für viele war in den letzten beiden Jahren die Grenze des Noch-Möglichen erreicht. Ein so überreiches Wochenende wie dieses sollte nicht zum letzten Fanal werden.