Oberhausen. OQ Chemicals (früher Oxea), Betreiber des großen Oberhausener Chemiewerks in Holten, warnt davor, Privatkunden im Gasnotstand zu bevorzugen.

Arzneien, Kosmetika, Beschichtungen für Autos und Kühlschränke, Mittel zur schnelleren Trocknung von Farben – die Produkte des großen Oberhausener Werkes von OQ Chemicals (früher Oxea) mit seinen 900 Mitarbeitern stecken unbemerkt in vielen Waren des Alltagslebens für Privatkunden.

„Wir stellen ja Basis-Chemikalien her, stehen am Beginn der Fertigungskette. Am Schluss sind das oft zwar nur wenige Prozent Fertigungsanteil des Endprodukts, doch ohne unsere Lieferung könnte dies nicht entstehen“, beschreibt Ina Werxhausen, Sprecherin des Chemieunternehmens, im Gespräch mit der Redaktion die Schlüsselrolle von Chemieprodukten für die gesamte Industrie.

Der Ukraine-Krieg und der mangelhafte Zufluss von russischem Erdgas nach Deutschland trifft nun aber die europäische Chemiebranche an ihrer empfindlichsten Stelle. „Zur Herstellung unserer chemischen Produkte benötigen wir Erdgas als Rohstoff.“ Erdgas dient der Chemie nicht als Energie, um Wärme zu erzeugen, sondern als Rohstoff, dessen Bestandteile dazu verwendet werden, die wertvollen Grund- und Spezialchemieprodukte zu fertigen.

Chemieindustrie verbraucht über 15 Prozent des Erdgasbedarfs von Deutschland

Die Chemieindustrie verbraucht über 15 Prozent des Erdgasbedarfs von Deutschland. Wie viel Kilowattstunden an Erdgas das Oberhausener Werk verzehrt, will OQ Chemicals lieber nicht sagen – aus Wettbewerbs-Gründen. Nur so viel: „Wir schauen zwar, wo wir Erdgas ersetzen können, aber das meiste Erdgas ist für uns kaum substituierbar. Wir benötigen diese Moleküle. Es geht chemisch einfach nicht: Man kann nicht statt Birnen Äpfel verwenden“, verdeutlicht bildhaft Sprecherin Werxhausen.

Wegzug aus Steuergründen

Die Zentrale des weltweit agierenden Chemieunternehmens OQ Chemicals (früher Oxea) ist vor fünf Jahren aus steuerlichen Gründen von der Oberhausener Otto-Roelen-Straße ins 60 Kilometer entfernte rheinische Monheim verlagert worden. Dessen junger Bürgermeister Daniel Zimmermann winkte zu intensiv mit dem niedrigsten Gewerbesteuersatz von ganz NRW.

Heute arbeiten in Monheim über 100 Denker und Lenker der weltweit verkaufenden Chemiefirma, die sich im Besitz des Scheichtums Oman befindet. Das Werk auf dem Gelände der Ruhrchemie beschäftigt rund 900 Arbeitnehmer, darunter fast 50 Auszubildende.

Auf den ersten Blick ist die Welt des Oberhausener Chemie-Werkes gegenwärtig noch in Ordnung: Trotz der extrem gestiegenen Gaspreise ist es bisher noch nicht zu Produktionsausfällen oder Verkaufsproblemen für die Produkte des Werkes auf dem Ruhrchemie-Gelände gekommen. „Wir haben das bisher noch gut regeln können.“ Was die Sprecherin nicht im Detail benennen will: Der Chemieindustrie wie etwa dem Essener Brenntag-Konzern ist es bisher gelungen, die gestiegenen Einkaufskosten an die Kunden weiterzugeben: Denn diese sind bereit, höhere Preise zu zahlen, weil sie die Chemikalien für ihre Produktion dringend benötigen.

Doch die Angst der gesamten Chemiebranche vor einem Ausfall der Erdgasversorgung bewegt in diesen Wochen auch OQ Chemicals. „Der Druck auf die Chemieindustrie ist unglaublich groß – die weltweiten Lieferketten-Probleme, die anhaltende Corona-Pandemie und nun noch die Erdgas-Mangellage. Am Ende trifft uns das aber alle, die gesamte Industrie und die Privatkunden, wenn wir nicht mehr produzieren und liefern können.“

Der Eingang des Oberhausener Chemiewerkes des Unternehmens OQ Chemicals.
Der Eingang des Oberhausener Chemiewerkes des Unternehmens OQ Chemicals. © OQ Chemicals

OQ Chemicals sieht das ähnlich wie Evonik-Chef Christian Kullmann, Präsident des Verbandes der chemischen Industrie (VCI): „Ohne Chemie steht dieses Land still, denn chemische Produkte werden für 90 Prozent aller Produktionsprozesse benötigt.“

Deshalb hält auch OQ Chemicals den absoluten Vorrang in einer Gasmangellage für Privatkunden für falsch. „Was nutzt es, wenn wir alle warm in unserer Wohnung sitzen, aber sonst nichts mehr geht“, fragt rhetorisch Ina Werxhausen. Ihr Kollege Thorsten Ostermann hält es zwar auch nicht für richtig, gleich alles auf den Kopf zu stellen, und beim Gasnotstand „Chemie first“ durchzusetzen, aber: „Die Politik muss sich bei der Erstellung ihrer Prioritätenliste für die Gasversorgung genau überlegen, welche dringlichen Produkte am Ende betroffen sein werden.“

OQ Chemicals verzichtet für sein Oberhausener Kraftwerk auf Erdgas

Unabhängig von der jetzigen Gassituation versucht OQ Chemicals, wie viele Unternehmen, bis zur Mitte des Jahrhunderts den Einsatz fossiler Rohstoffe zu vermeiden oder auszugleichen: Welche Chemiestoffe werden noch in Zukunft benötigt und welche Produktionsprozesse dafür können auf welche Art und Weise klimaneutral umgestellt werden? Einen ersten kleinen Schritt hat das Monheimer Chemieunternehmen am Oberhausener Standort bereits vollzogen: Das Kraftwerk auf dem Ruhrchemie-Gelände wird kein Erdgas mehr für die Erzeugung von Strom einsetzen.

Dies geschah dort allerdings nur zu einem geringen Teil: Grundsätzlich wandelt das Kraftwerk ohnehin die Abfallströme bei der Produktion von Chemieprodukten in Energie um – in Strom und in Fernwärme. Weil aber das Stromnetz starke Schwankungen von Spannungen schlecht verträgt, hat OQ Chemicals in Oberhausen Erdgas genutzt, um Spitzen abzufangen. Dies soll nun mit dem Zukauf von Strom aus erneuerbaren Energien („Grünstrom“) ausgeglichen werden. Ein kleiner Schritt für den Chemiebetrieb auf dem langen Weg zur angestrebten Klimaneutralität.