Oberhausen. Überraschend erhält die Oberhausener Siedlung Grafenbusch doch keine Lärmschutzwände. Die Bahn macht einen Rückzieher - das sorgt für Protest.

Beim Thema freiwilliger Lärmschutz an Bahnstrecken lässt sich die Deutsche Bahn AG nicht in die Karten schauen. Das macht der Streit zwischen Anwohnerinnen und Anwohnern der Siedlung Grafenbusch in Alt-Oberhausen und der Bahn um Lärmschutzwände hinter ihren Gärten deutlich. Dort verlaufen mehrere wichtige Güterzugstrecken. Auch viele Ferngüterzüge fahren vorbei, aber nur mit 60 Stundenkilometern. Leise ist das natürlich auch nicht.

+++ Sie wollen keine Nachrichten aus Oberhausen verpassen? Dann können Sie hier unseren abendlichen und kostenlosen Newsletter abonnieren! +++

Die CDU griff vor der Sommerpause in der Bezirksvertretung Alt-Oberhausen das Thema auf. Sie wollte wissen, wie es sein könne, dass einige Anwohner 2019 eine schriftliche Zusage über einen Lärmschutz erhalten haben, die nun nicht eingehalten werde? Denn Anfang des Jahres hieß es von der Bahn plötzlich, ihre Lärmschutzwände mit zunächst anvisierten Kosten von zwei Millionen Euro könnten doch nicht mehr gebaut werden - aus Kostengründen. Dabei enthält der Lärmschutz-Fördertopf des Bundesverkehrsministers immerhin 150 Millionen Euro im Jahr.

In Grafenbusch müssen gleich zwei Lärmschutzwände gebaut werden - das ist teuer

Die Fachleute aus dem Rathaus erläuterten der Bezirksvertretung, dass der Lärmschutz am Grafenbusch aufwendig ist. Die beiden Gleise, die zur Siedlung hin verlegt sind, verlaufen auf unterschiedlicher Höhe. Deshalb müssen gleich zwei Lärmschutzwände gebaut werden – und das an Gleisen, die direkt an Böschungen verlaufen. Weil das eine Gleis das andere auch noch überquert, muss auch noch die Gitterbrücke von der Lärmschutzwand ausgenommen werden. Die Wand hätte also eine Lücke.

Die Bahn habe noch einmal nachgerechnet, hieß es. Mehrkosten und der bauliche Aufwand seien doch so hoch, dass die damit zu erreichende Absenkung des Bahnlärms zu gering ausfalle. Außerdem begründeten die städtischen Fachleute den Sinneswandel der Bahn mit einer geänderten Förderrichtlinie des Bundes. Die CDU zeigte sich nur enttäuscht, bohrte aber nicht nach. Die Anfrage der Redaktion, was genau sich denn an der Richtlinie geändert habe, beantwortete das Rathaus aber nicht. Es verwies auf die Deutsche Bahn.

Grafenbusch genießt höchste Schutzwürdigkeit

Diese Richtlinie stammt von Anfang 2019. Ihr kann der juristische Laie nur entnehmen, dass die Lärmpegel, die überschritten sein müssen, um einem Gebiet eine Lärmschutzwand auf Staatskosten bauen zu können, neuerdings darin stehen. Vor 2019 waren diese sogenannten Auslösewerte, unterteilt nach der Schutzwürdigkeit, nur im Bundeshaushalt zu finden. Für den Grafenbusch gilt die höchste Schutzwürdigkeit: reines Wohngebiet.

Deshalb hat die Redaktion vom Bundesverkehrsministerium in Berlin wissen wollen, ob sich diese Auslösewerte vielleicht zum Nachteil vom Grafenbusch verändert haben. Die Antwort kam nach zwei Wochen: Er liegt dort unverändert bei 57 Dezibel(A) nachts.

Nur für wenige Häuser würde sich der Lärm halbieren

Von der Deutschen Bahn-AG wollte die Redaktion nun wissen, was denn sonst an der Richtlinie anders sei als früher, zum Nachteil vom Grafenbusch. Auch diese Antwort kam erst nach zwei Wochen - und ging auf diesen Punkt gar nicht ein. Immerhin war ihr zu entnehmen, dass der Auslösewert früher mal bei 65 dB(A) gelegen habe. Bei der Neuauflage der Richtlinie noch in diesem Jahr würde er sogar auf 54 dB(A) abgesenkt. Das müsste aber mehr für als gegen den Grafenbusch sprechen. Aber auch nach diesem strengeren Maßstab, so hieß es, komme der Bau der beiden Lärmschutzwände dort nicht mehr in Betracht.

Was dahinter stecken könnte, dem kamen die Anwohner in einer nichtöffentlichen Veranstaltung der Bahn Mitte Juni 2022 schon näher. Zum Beispiel, dass statt mit 1800 Euro Baukosten je Meter Länge einer Wand zuletzt mit 2100 Euro gerechnet wurde. Es geht um 561 sowie 477 Meter. Oder dass etwa die Hälfte der Hausfassaden, die zu den Gleisen hin liegen, dadurch um sechs bis neun dB(A) entlastet würden, nur eine einzige Fassade um mindestens zehn dB(A). Zehn dB(A) werden als Halbierung des Lärms wahrgenommen. Dass es leiser wird, nimmt das menschliche Ohr erst ab drei dB(A) wahr.

Häuser in zweiter Reihe profitieren kaum

Bei der anderen Hälfte der Fassaden entlang der Gleise, so erfuhren sie auch, müsste man sich mit drei bis fünf dB(A) Lärmminderung zufriedengeben. Die Mehrzahl der Hausfassaden in zweiter Reihe von den Gleisen würde nur um höchstens zwei dB(A) entlastet, also kaum.

Die genaue Berechnung wird wie ein Betriebsgeheimnis gehütet

Gesetzlich verpflichtet ist die Bahn selbst nur, für Lärmschutz zu sorgen, wenn sie Strecken neu baut oder ausbaut. Weil auch an anderen Strecken die Lärmbelastung hoch ist, wurde Ende der 90er Jahre ein freiwilliges Lärmschutzprogramm aufgelegt. Anfangs standen dafür jährlich 51 Millionen Euro zur Verfügung.

Zwar präsentierte die Bahn den Nachbarn die mathematische Formel für die Berechnung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses. Aber die genauen Zahlen, die dafür in die Formel eingetragen wurden, die zeigte sie nicht. Also welche Minderung des Lärmpegels gegenüber heute erreicht würde und wie viele Fassaden wie stark davon profitieren. Das hängt von der geschätzten Anzahl der Zugfahrten ab. Das ist wohl Betriebsgeheimnis.

Für die am stärksten betroffenen Nachbarn bleibt jetzt als Trost, dass sie sich mehrfachverglaste Fenster und entsprechende Lüfter einbauen dürfen. Allerdings müssen sie 25 Prozent der Kosten dafür selbst tragen. Oder sie versuchen, die Entscheidung der Bahn von einem Gericht überprüfen zu lassen.