Oberhausen. Ein Schwangerschaftstest änderte ihr Leben: Wie eine junge Oberhausenerin der Sucht und Obdachlosigkeit entkam – und nun auf eigenen Beinen steht.
Wir alle haben wohl einen Menschen, der unser Leben zum Besseren gewendet oder es sogar ganz verändert hat. Auch auf Julia Klein aus Oberhausen trifft das zu. Ein kleines Wesen rettete ihr Leben: Ihr Sohn Lio. Doch die junge Frau blickt auf keine leichte Vergangenheit zurück – Drogen und häusliche Gewalt begleiteten sie viele Jahre. In einem Gedankenprotokoll erzählt die 28-Jährige ihre Geschichte.
„Ich bin gebürtige Oberhausenerin, wohne mit meiner Schwester und meiner Mutter hier in Osterfeld im Dreieck. Wir sind eine richtige Familienbande – wieder. Das war lange nicht so. Mit 16 bin ich das erste Mal von zu Hause abgehauen, zu meinem damaligen Partner nach Aachen. Aber erst, nachdem ich an der Gesamtschule Osterfeld meinen Hauptschulabschluss gemacht hatte. Ich habe eigentlich gern bei meinen Eltern gelebt, aber ich habe mich zu vielen Dingen in meinem Leben verleiten lassen, ich war sehr beeinflussbar.
Nach einem halben Jahr war ich wieder zu Hause, kam über das Jobcenter in ein Berufsvorbereitungsjahr am ZAQ. Da hat mich allerdings nichts angesprochen, also war ich wieder weg. Als ich zurückkam, startete ich durch eine Maßnahme vom Jobcenter in eine Ausbildung als Verkäuferin bei Netto. Nach einem Jahr habe ich die Ausbildung abgebrochen. Ich stand unter schlechtem Einfluss von falschen Freunden, die selbst arbeitslos waren und mich dazu überredeten, mich mit ihnen am Hauptbahnhof zu treffen statt arbeiten zu gehen, zu quatschen und ein Bierchen zu trinken. Das war mein Leben, als ich 18 und 19 Jahre alt war.
Drogen und häusliche Gewalt prägten die junge Erwachsene
Parallel fing ich an, oft feiern zu gehen. Ich war Teil der Szene im Cosmo, dem Club in der Turbinenhalle. Irgendwann fing ich an, Drogen zu nehmen. Mein Einstieg waren Amphetamine, also Speed. Ich hatte Glück – nicht die Droge hatte mich unter Kontrolle, sondern ich die Droge. Später kamen noch Pillen dazu. Ich war arbeitslos, wohnte weiter bei meinen Eltern.
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Das Jahr 2016 war für mich der schlimmste Schlag. Ich verließ mein Zuhause und zog nach einem kurzen Aufenthalt im Carl-Sonnenschein-Haus zu meinem damaligen Partner nach Essen, meldete mich aber wohnungslos, damit uns nicht die Bezüge vom Amt gekürzt wurden (Anmerkung der Redaktion: Leben zwei Arbeitslose als Paar zusammen, entsteht eine Bedarfsgemeinschaft und die Bezüge von beiden werden gekürzt). Zuerst lief alles gut, doch er war Drogendealer und hat mich mit in den Sumpf gezogen. Ich wurde Opfer häuslicher Gewalt – war nicht sauber genug geputzt, wurde ich geschlagen. Sogar, wenn ich keine Drogen genommen hatte. Er hat mich von meinen Freunden und meiner Familie isoliert. Davon habe ich immer noch ein Trauma. Manchmal schreie ich im Schlaf oder schlage um mich.
Schwangerschaft: Entschluss für kalten Entzug
Nach über zwei Jahren holte ein Kollege mich da ‘raus. Ich habe wieder angefangen, mit meiner Familie zu sprechen. Aber der Weg war hart. Nur meine Patentante hat immer an mich geglaubt und mich unterstützt. Mit meinem neuen Partner, der auch Drogendealer war, wurde ich nie richtig sesshaft, ständig sind wir aus Wohnungen herausgeflogen oder mussten wegen seiner Schulden die Stadt wechseln. Im Februar 2020 kamen wir im Carl-Sonnenschein-Haus unter, er musste aber nach einigen Monaten wieder ausziehen. Ich konnte bleiben.
Im Sommer merkte ich, dass ich schwanger war. Das Gefühl kann ich nicht beschreiben. Aber es hat mein Leben gerettet. Ich wusste: Ich bin jetzt nicht mehr allein. Ich muss auf uns aufpassen. Es waren wohl die mütterlichen Hormone, ich habe sofort mit den Drogen aufgehört und auch die Beziehung mit dem Vater des Kindes beendet, der die Vaterschaft erst gar nicht anerkennen wollte. Meine Patentante hat mir eine Wohnung besorgt, dort bin ich hochschwanger eingezogen. Trotz Pandemie war 2020 für mich das beste Jahr meines Lebens.
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„Ich stehe nun für mich ein. Und vor allem für Lio“
Im Februar 2021 kam dann Lio zur Welt. Den Namen hat sich mein Neffe ausgesucht. Lio ist mein Fels in der Brandung, durch ihn wurde auch das Verhältnis zu meiner Familie immer besser. An Drogen denke ich kaum noch. Ich bin kein sprunghafter Mensch mehr. Ich stehe nun für mich ein. Und vor allem für Lio. Glücklicherweise hat er keine Schäden von unserem Drogenkonsum davongetragen. Noch bin ich im Mutterschutz, aber irgendwann würde ich gerne wieder arbeiten. Am liebsten im Verkauf.“
Keine Kinder erlaubt
Im Carl-Sonnenschein-Haus in Oberhausen, in Trägerschaft der Caritas, können Menschen unterkommen, die keinen festen Wohnsitz haben. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sie alle Drogentests bestehen und bereit sind, wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, Anträge zu stellen und sich einzugliedern.Julia Klein musste das Carl-Sonnenschein-Haus verlassen – dort sind Kinder nicht erlaubt. Leben können dort zudem nur Menschen, die älter als 18 Jahre sind. Der Grund ist, dass dort Menschen mit psychischen Erkrankungen und Drogenvergangenheit leben.Julia Klein wird weiterhin von der Caritas betreut. Dies ist möglich im Rahmen des betreuten Wohnens. Ihre Sozialarbeiterin hilft ihr bei allen möglichen Belangen und steht ihr zur Seite. Seit 2011 helfen sie damit Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, das selbstbestimmte Leben in den eigenen vier Wänden zu meistern. Wer Interesse am betreuten Wohnen hat, kann sich unter 0208 94 04 70 oder bewo-sonne@caritas-oberhausen.de informieren.