Oberhausen. Seit 100 Jahren setzt sich die Diakonie in Oberhausen für Menschen in Not ein. Bis heute bleibt die Finanzierung dieser Arbeit ein Trauerspiel.

100 Jahre Diakonisches Werk Oberhausen: Was hat sich verändert? Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Sie lautet: Alles und nichts. Denn wer einen Blick in die Kirchenarbeit der Vergangenheit wirft, stellt fest: Im Kern dreht sie sich um das eine große Thema – Menschen zu helfen, die in Not sind. Und davon gibt es in Oberhausen bis heute noch immer viele. Eine Wegbeschreibung, die Hoffnung macht, auch wenn im Rucksack eine Portion Resignation mitreist. Frank Domeyer, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Oberhausen, jedenfalls kann nicht nachvollziehen, weshalb soziale Arbeit in Oberhausen genauso wie deutschlandweit noch immer derart unterfinanziert ist.

Domeyer denkt dabei nicht einmal zuerst an das Budget seiner Diakonie. „Fast jede soziale Arbeit ist betroffen, denken Sie zum Beispiel auch an die Frauenhäuser, die noch immer auf Spenden angewiesen sind“, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. Dabei gehe es doch um den Schutz der Frauen vor Gewalt, um die Wahrung ihrer Menschenwürde. „Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sogar im Grundgesetz verankert ist.“ Und ein Dilemma, denn trotz nachdrücklicher Forderungen aus so vielen Bereichen falle die ausreichende Finanzierung sozialer Arbeit seit nunmehr 100 Jahren in der Bundes- und Landespolitik gerne und immer wieder unter den Tisch.

Was hat sich verändert? „Vor dem Ersten Weltkrieg war der Bedarf an Hilfen für notleidende Menschen in Oberhausen besonders groß“, stellte Historiker Dr. Stefan Kraus bei seinen Recherchen für die Jubiläumschronik des Diakonischen Werkes Oberhausen fest. Einen sozialen Brennpunkt bildete der Bahnhof. „Vor allem junge Frauen, die allein reisten oder die vom Land in die Stadt zogen, um hier Arbeit zu finden, waren gefährdet.“ Nicht selten landeten sie in der Prostitution.

Die erste Bahnhofsmission in Oberhausen entsteht

Zum Jahreswechsel 1912/13 entstand in Oberhausen eine ökumenisch geführte Bahnhofsmission. „Eng damit verbunden war die Arbeit der Lehrerin Gertrud Zillich“, erzählt Kraus. Angesichts der Not der jungen Frauen habe sie 1918 den Evangelischen Frauenverein für Jugendschutz gegründet. „Die Pfarrerstochter aus Pommern war nach ihrer Heirat nach Oberhausen gezogen und kümmerte sich während des Ersten Weltkriegs um Verwundete in den örtlichen Krankenhäusern.“ Sie legte die Grundlagen für die spätere Tätigkeit des Diakonischen Werkes. Soziale Arbeit blieb damals aber eine rein ehrenamtliche und meist kirchlich geprägte Tätigkeit.

„Erst am 1. April 1924 trat das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz in Kraft“, erläutert Kraus. Seitdem ist die soziale Arbeit in Deutschland von einer engen Zusammenarbeit staatlicher und freier Wohlfahrtspflege geprägt. „Wobei viele Kommunen, so wie Oberhausen ja auch, freie Träger mit bestimmten Aufgaben beauftragen und dafür dann lediglich die Finanzierung übernehmen.“

Diakonie-Geschäftsführer Frank Domeyer (links) und Historiker Dr. Stefan Kraus beim Interview über 100 Jahre Diakonie in Oberhausen.
Diakonie-Geschäftsführer Frank Domeyer (links) und Historiker Dr. Stefan Kraus beim Interview über 100 Jahre Diakonie in Oberhausen. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

In der Weimarer Republik stieg die Arbeitslosigkeit stark an. „Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Kriegsfolgen waren enorm“, führt Kraus aus. 1921 habe sich daher in Oberhausen der Zweig der Fürsorge zu einem eigenen Dienst der evangelischen Gemeinden Alt-Oberhausens abgetrennt. „Das Evangelische Jugendpfarramt, das heutige Diakonische Werk Oberhausen, wurde gegründet.“

Ein gut aufgestellter Gemischtwarenladen

Die Einrichtung entwickelte sich im Laufe der Jahre zum „gut aufgestellten Gemischtwarenladen“, wie Domeyer sagt. Aus dem Ehrenamt ist längst ein hochprofessionelles Arbeitsfeld geworden. Das Psychosoziale Gesundheitszentrum kümmert sich um psychisch erkrankte Menschen, die Schuldner- und Verbaucherinsolvenz-Beratung um Oberhausener in finanzieller Not. Dazu kommen Angebote für Familien, für Jugendliche, für Flüchtlinge. 270 Oberhausenerinnen und Oberhausener nutzen das Angebot einer gesetzlichen Betreuung für kranke oder behinderte Menschen, die Begleitung im Alltag benötigen und die Wohnungslosenhilfe wurde zur Anlaufstelle für die Obdachlosen dieser Stadt.

Pfarrer Thomas Fidelak (Synodalbeauftragter der Diakonie, rechts) hielt in der Lutherkirche im Rahmen der Festveranstaltung des Diakonischen Werks Oberhausen zum 100-jährigen Jubiläum eine Andacht.
Pfarrer Thomas Fidelak (Synodalbeauftragter der Diakonie, rechts) hielt in der Lutherkirche im Rahmen der Festveranstaltung des Diakonischen Werks Oberhausen zum 100-jährigen Jubiläum eine Andacht. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Was ist gleich geblieben? Gerade Obdachlosigkeit ist noch immer ein großes Thema. Zunehmend betroffen: „Alleinstehende und alleinerziehende Frauen“, weiß Domeyer. Rund 200 Betroffene suchen bereits jährlich Rat bei der Wohnungslosenhilfe. So wird sich der Kreis nach 100 Jahren schließen, wenn das Diakonische Werk am 22. Dezember an der Elsässer Straße 18 eine spezielle Beratungsstelle nur für wohnungslose Frauen eröffnet.

Enge Zusammenarbeit mit der Kommune

Am 1. Oktober 1963 schlossen sich Gemeindedienst und Hilfswerk zum „Evangelischer Gemeindedienst für Innere Mission und Hilfswerk im Kirchenkreis Oberhausen“ zusammen.

Seit 1966 trägt er den Namen „Diakonisches Werk des Evangelischen Kirchenkreises Oberhausen“. Die Arbeit des freien Wohlfahrtsträgers ist eng mit der Kommune verbunden.

Doch auch diesmal wird es wieder ums Geld gehen. Froh ist Domeyer über die gute Zusammenarbeit mit der Stadt. „Die machen wirklich möglich, was eben geht und haben das trotz vieler schwieriger Haushaltsjahre auch immer getan.“ Doch verteilen kann die Kommune nur, was sie erhalten hat. Deutlich mehr Unterstützung für die Menschen dieser Stadt wünscht sich der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes für alle freien Träger deshalb vom Land. Bislang vergeblich.