Oberhausen. Ein 85-jähriger Oberhausener wird mit dem Rettungswagen in die Notaufnahme gebracht. Dort ist er erst nach stundenlanger Wartezeit an der Reihe.
Katastrophale Zustände in den Notambulanzen der Stadt hat der frühere Oberhausener Oberbürgermeister Burkhard Drescher kritisiert. Was war passiert?
Drescher schildert den Vorfall so: Ein 85-jähriger Angehöriger droht zu kollabieren. Der Rettungswagen sei in angemessener Zeit vor Ort gewesen. Eine Untersuchung im Krankenhaus wird empfohlen. „Der Rettungssanitäter wies schon darauf hin, dass eine Aufnahme aber nicht gesichert ist.“ Dann in der Notfall-Ambulanz des Ameos Klinikums St. Clemens: „Ein überfülltes Wartezimmer, hektische Ärzte – und eine Wartezeit von drei Stunden wird angekündigt.“ Diese Zustände seien unhaltbar, meint der Ex-Oberstadtdirektor. „Die Politik ist gefordert, die Gesundheitsversorgung der Bewohner in Oberhausen sicherzustellen.“
Tatsächlich ist die Belastung der Mitarbeitenden in allen Oberhausener Krankenhäusern unter den aktuellen Pandemiebedingungen sehr hoch, heißt es dazu auf unsere Nachfrage aus den Kliniken. „Unsere Personalkapazitäten sind krankheits- und quarantänebedingt endlich“, bittet Ameos-Sprecherin Annette Kary um Verständnis. Daher stünden alle Ameos-Häuser stetig im engen Austausch mit dem Krisenstab der Stadt Oberhausen und den anderen Notaufnahmen. Trotz der angespannten Lage sei die Notfallversorgung in der Stadt bislang aber an 24 Stunden und an sieben Tagen in der Woche sichergestellt gewesen – und „bleibt das auch“. Am Osterfelder Marienhospital hat Ameos allerdings die Notaufnahme schon vor längerer Zeit eingestellt.
„Wie viele Patienten mit welchen Erkrankungen wann kommen, kann niemand vorhersehen, die Anzahl und Schwere der Notfälle ist leider nicht planbar“, erläutert Michael Reindl, Chefarzt der Klinik für Akut- und Notfallmedizin im Ameos Klinikum St. Clemens Oberhausen. Leider komme es mitunter zu Situationen, in denen gleichzeitig viele Patienten auf einmal die Notaufnahme aufsuchten. „Wichtig zu wissen ist, dass die Patienten nicht nach der Reihenfolge ihrer Ankunft, sondern ausschließlich nach der Dringlichkeit ihrer Behandlung versorgt werden“, betont Reindl. „Wer zuerst an der Reihe ist, entscheidet sich nach einem standardisierten Verfahren: Dem Manchester Triage System.“
Zuerst sind lebensgefährlich Erkrankte an der Reihe
Mit diesem Verfahren werde das Ausmaß der gesundheitlichen Bedrohung einer Erkrankung oder Verletzung eingeschätzt. Danach ergibt sich: Zuerst kommen Patienten mit akut lebensgefährdenden Erkrankungen wie Herzkreislaufstillstand, Blutvergiftung, Herzinfarkt oder Schlaganfall dran. Wer sich die Knochen gebrochen hat oder an Magen-Darm-Erkrankungen leidet, müsse dagegen länger warten. „Natürlich versuchen wir, jedem Patienten so schnell wie möglich zu helfen“, sagt Schwester Daniela Münch, stellvertretende pflegerische Leitung bei Ameos. Wartezeiten erklärten sich darüber hinaus durch die für eine Diagnose notwendigen Untersuchungen wie Röntgen, Blutanalyse oder EKG.
Währenddessen würden im Hintergrund weitere Notfälle aufgenommen, die direkt vom Rettungsdienst zugewiesen werden und ebenso auf ihre Dringlichkeit überprüft werden müssen. „Auch dies kann wiederum zu verlängerten Wartezeiten bei nicht akut lebensbedrohlichen Fällen führen.“ Reindl appelliert deshalb an die Patienten: „Ruhe bewahren und uns im Sinne der Mitpatienten einfach vertrauen.“
Personalausfälle durch die Corona-Pandemie
Auch im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen (EKO) gilt: „Lebensbedrohlich Verletzte oder Erkrankte gehen in jedem Fall vor.“ Beurteilt werde dies auch hier nach dem Manchester-Triage-System. „Zu Wartezeiten kam es deshalb schon immer“, sagt eine Sprecherin. Doch in den letzten Wochen habe das EKO zusätzlich vor der Herausforderung gestanden, etliche Personalausfälle durch die Corona-Pandemie verkraften zu müssen. „Das ist eine hohe Belastung für alle Mitarbeitenden und wirkt sich leider erschwerend auf die Abläufe in der Notaufnahme aus.“
Dr. Simone Laporte, Leitende Ärztin der Zentralen Notaufnahme der Helios St. Elisabeth Klinik Oberhausen: „Auch bei uns erfolgt die Ersteinschätzung nach dem Manchester-Triage-System.“ Für Patienten mit leichten oder mittelschweren Beschwerden könnten dadurch auch bei Helios an Tagen mit hoher Auslastung längere Wartezeiten entstehen. „Das lässt sich nicht vermeiden.“
Die tatsächliche Auslastung können Wartende nicht erkennen
Wer die Notaufnahme noch selbst aufsuchen kann, könne die Gesamtauslastung jedoch gar nicht einschätzen. „Denn die meisten Patienten, insbesondere schwere Fälle, werden mit dem Rettungswagen in unsere Klinik gebracht, ohne dass dies vom Wartebereich aus bemerkt wird“, führt Laporte aus. Daher legten die Mitarbeitenden der Notaufnahme viel Wert auf eine transparente Kommunikation. „Viele Patienten zeigen dann Verständnis.“
Triage: Schnelle Beurteilung der Dringlichkeit
Das Manchester Triage System (MTS) ist ein standardisiertes Verfahren zur systematischen Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit von Patienten in Notaufnahmen. Triage bezeichnet dabei die Methodik, den Schweregrad der Erkrankung bzw. der Verletzung innerhalb kurzer Zeit zu erkennen.
MTS wurde in den 1990er Jahren in Großbritannien entwickelt und wird mittlerweile in vielen, vor allem europäischen Ländern eingesetzt. Die Charité-Universitätsmedizin Berlin hat MTS als erste deutsche Universitätsklinik seit dem 1. April 2008 in den Notaufnahmen aller Standorte etabliert.
Dazu kommt: Durch die Corona-Pandemie seien die Arbeitsabläufe und hygienischen Maßnahmen noch zeitintensiver geworden. „Einige Patienten müssen vorsorglich isoliert werden, die Kolleginnen und Kollegen müssen die Schutzkleidung wechseln und jede Aufnahme erhält einen Covid-Test.“ Auch dies verlängere die Wartezeiten aktuell sehr.