Oberhausen. Als Collage aus Schlagern der fünften Jahreszeit und knallbunter Kostümschlacht inszeniert Joana Tischkau die Wiedereröffnung des Großen Hauses.

Schunkelverdacht sollte im Theater Oberhausen auch bei einer Inszenierung mit dem Titel „Karneval“ nicht aufkommen. Da ist nicht nur die Pandemie vor – sondern auch die gesamte Intendanz des Hamburgers Florian Fiedler. Noch deutlicher wird’s, wenn das aktuelle Programm-Leporello die Uraufführung von Joana Tischkau mit einem Zitat der Nobelpreisträgerin Toni Morrison vorstellt: „Rassismus ist anstrengend, er raubt dir deine Zeit.“

Statt „Helau“ also eine Abrechnung mit dem, was die fünfte Jahreszeit im Frohsinnsrausch so an Exotismen und Rassismus-Verdächtigem verbricht – genauer gesagt, die „weiß-deutsche Karnevalskultur“ wie es im Programm heißt. „Für Karneval muss ich alle Register ziehen“, sagt Joana Tischkau. Die Choreographin meint allerdings den beträchtlichen und knallbunten Aufwand, den sie zur Wiedereröffnung des Großen Hauses am Will-Quadflieg-Platz der Kostüm- und Lichtabteilung abverlangt.

Ist Karneval nur für die Tonne – oder meint das Bühnenbild von Carlo Siegfried die berühmte Christo-Installation für den Gasometer, Oberhausens Lieblingstonne?
Ist Karneval nur für die Tonne – oder meint das Bühnenbild von Carlo Siegfried die berühmte Christo-Installation für den Gasometer, Oberhausens Lieblingstonne? © Theater Oberhausen | Katrin Ribbe

Karneval, der rheinische zumal, sei schon „eine theatrale Schatzkiste“, sagt Anta Helena Recke, die Dramaturgin. Und Joana Tischkau, die zwar aus Göttingen stammt, aber auch sechs Jahre in Köln lebte, sieht Narrentreiben und Bühnenkunst „eigentlich sehr nahe beieinander“. Nur die Wertigkeit beider Traditionen werde eben ganz anders bemessen.

Das Umstürzlerische ist nur Behauptung

Eine entscheidende Rolle komme den Kostümen zu – in „Karneval“ das schrill glitzernde Schlachtfeld für Mascha Mihoa Bischoff, die aus Kleidern gerne überbordend bunte Skulpturen formt. „Im Theater verleiht das Kostüm der Figur Ernsthaftigkeit“, erklärt Joana Tischkau, „im Karneval ist es die Parodie“. Zumal im Vereinskarneval trägt man gerne Uniformen und gepuderte Perücken wie aus dem 18. Jahrhundert – ist aber inzwischen weit entfernt von satirisch gemeinten Attacken aufs Militär.

Theater hält FFP2-Masken für Besucher bereit

Das Theater Oberhausen vergibt fürs Große Haus nur knapp die Hälfte der Plätze, verkauft also 200 Karten pro Vorstellung. Die Premiere am Freitag, 11. Februar, um 19.30 Uhr ist denn auch bereits ausverkauft.Weitere Termine im Februar folgen an den Samstagen, 12., 19. und 26. Februar, jeweils um 19.30 Uhr, sowie am Sonntag, 27. Februar, um 18 Uhr.Karten kosten 11 bis 23 Euro, ermäßigt 5 Euro, erhältlich unter 0208 8578 184 oder per Mail an besucherbuero@theater-oberhausen.deIm Großen Haus gilt – medizinische, nicht närrische – Maskenpflicht, auch während der Aufführung auf den Zuschauerplätzen. Das Theater hält für vergessliche Gäste FFP2-Masken bereit. Zudem erhöht die während der umfassenden Technik-Umbauten erneuerte Frischluftanlage die Sicherheit vor Infektionen.

Heutige Faschingssitten oder Unsitten (jedenfalls bis die Pandemie alles über den Kleiderhaufen warf) betrachtet die Dramaturgin „von außen – ethnologisch“. Und die Autorin zitiert die Kölsche Institution „Die Höhner“ mit ihrer Behauptung „wir sind multikulturell“. Recke und Tischkau machen allerdings deutlich: Sie sehen das anders. Das einstmals Umstürzlerische der organisierten Narretei ist nur noch Behauptung. Der sorgsam inszenierte „Rathaussturm“ an Weiberfastnacht bedeutet ja keineswegs, dass Frauen nun die Macht übernähmen.

Ein diverses Ensemble – verstärkt um drei Gäste – bringt den grellen Kostümrausch von „Karneval“ auf die Showtreppe.
Ein diverses Ensemble – verstärkt um drei Gäste – bringt den grellen Kostümrausch von „Karneval“ auf die Showtreppe. © Theater Oberhausen | Katrin Ribbe

„Warum gibt es keine Veränderungen?“, fragt Joana Tischkau. Warum ist die „weiß-deutsche“ Tradition ausgerechnet des sich anarchisch gebärdenden Karnevals derart festgefahren und ritualisiert? Mit einem „diversen Ensemble“, wie sie betont, will die Regisseurin „die Schrecklichkeit und vielleicht die Schönheit“, die sie aus einem Fundus an Büttenreden und Schlagern collagiert, ausstellen.

Gleichzeitig empört und gut unterhalten

Überraschend verweist Anta Helena Recke auf „die Storyline“ der Inszenierung: eine Identitätssuche, wie sie auch die allseits bekannten Disney-Abenteuer von „Dschungelbuch“ bis „König der Löwen“ spiegelten. „Sich ausprobieren im Anderen“, wie Joana Tischkau sagt – das gelte nicht nur für das „Wolfsjunge“ Mowgli, sondern auch im Karneval.

Und wie dürften nun überzeugte Karnevalisten auf „Karneval“ reagieren? „Sie fänden es sehr unterhaltsam“, meint Anta Helena Recke, „sie würden vieles wiedererkennen“. Schließlich gebe es auf der Bühne mitsamt Showtreppe eine „bunte, bombastische, rhythmische Welt“ zu bestaunen. Und Joana Tischkau hofft, „dass die Leute gleichzeitig unterhalten sind und empört“. Aber auch das dürfte manchen Prunksitzungen keineswegs fremd sein.