Sie war sprachmächtige Wegbereiterin der afroamerikanischen Literatur: Am Montag starb Nobelpreisträgerin Toni Morrison im Alter von 88 Jahren.
Als Martin Luther King in den 60er-Jahren seine historisch lodernden Reden hielt, da arbeitete eine junge schwarze Mutter tagsüber in einem Verlag, zog alleine ihre beiden Söhne groß und folgte nur zu stillen, nächtlichen Stunden ihrer Leidenschaft: der Literatur. „Sie schrieb oft mit ihren beiden Jungs auf dem Schoss, die an ihren Haaren zogen oder mit ihren Ohrringen spielten. Wenn ein Baby auf den Block spuckte, schrieb sie drum herum“: Dieses Bild zeichnete US-Präsident Barack Obama in einer Rede von der bislang einzigen schwarzen Frau, die den Literaturnobelpreis erhielt – Toni Morrison.
Toni Morrison schrieb „Menschenkind“ über die Sklaverei
1931 in Ohio in eine Arbeiterfamilie hineingeboren, fand Morrison früh den Weg zur Literatur. Auf das Anglistik-Studium folgte die Arbeit als Lektorin bei Random House, Ende der 70er-Jahre schließlich das Romandebüt „Sehr blaue Augen“. Afroamerikanische Lebensrealität fängt sie ohne Schuldzuweisungen, aber doch mit gnadenlosem Blick ein. Als 1987 ihr Roman „Menschenkind“ erscheint, bedeutet dies Morrisons internationalen Durchbruch: Auf den Pulitzerpreis und die Übersetzung in zahlreiche Sprachen folgt 1993 der Literaturnobelpreis.
„Menschenkind“ ist jenen sechzig Millionen Menschen gewidmet, die an den Folgen der Sklaverei starben; der Roman kreist um eine schier unbegreifliche Tat: Eine Mutter tötet ihr Kind, um es vor der Sklaverei zu bewahren. Der Roman setzt kurz nach Ende des Bürgerkriegs in den Südstaaten ein und reist vielstimmig und verschlungen zurück in jene Zeit, als Menschen noch Objekte waren. Weder die Schwarzen noch die Weißen, so Morrison damals in einem Interview, wollten sich an die Sklaverei erinnern, es herrsche „nationale Amnesie“.
Sie umtanzte in poetischen Worten das Grauen
Auch in folgenden Romanen umtanzt Morrison in poetischen Worten das Grauen, darin der Sprachmacht einer Herta Müller nicht unähnlich. Der Poesie aber setzt Morrison immer wieder den brutalen Zungenschlag der Straße entgegen, so staubtrocken wie die Straßen der Südstaaten, so schneidend wie die Peitschen der Plantagenbesitzer. In „Jazz“ etwa, im Harlem der 1920er angesiedelt, drängt sich historisches Moll in die Musikalität ihrer Sprache. Im Mammutwerk „Paradies“, das die Trilogie der Geschichte Amerikas gewissermaßen beendet, werden Opfer- und Täterrollen zunehmend unkenntlich: Hier sind es die Nachkommen ehemaliger Sklaven, die als verschworene Gemeinschaft eine Gruppe freiheitlicher Frauen zu Feinden erklären. Die eigentliche Triebkraft allen Handelns, der Motor aller Historie ist für Morrison ein Gefühl, das sie einmal mit „Mutterhunger“ beschrieb: „das Verlangen, Mutter zu sein oder eine zu haben“, die unverbrüchliche Bindung.
Vielen schwarzen Autorinnen und Autoren der Gegenwart hat Toni Morrison, gewissermaßen die Übermutter der afroamerikanischen Literatur, den Weg bereitet, dies ist ihr Vermächtnis und ihr Erbe: Mut gemacht zu haben. Am Montag starb Toni Morrison im Alter von 88 Jahren.